1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
76. Neapel und der Vesuv
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Spur seiner Barke ist Feuer. Dies rührt von Millionen sonst unsichtbarer
Bewohner des Meeres her, deren Leuchren durch eine stärkere Bewegung des
Wassers gesteigert wird. Wirst man einen Hund ins Meer, so kommt er leuch-
tend zurück, sich schüttelnd sprüht er Funken.
In Neapel rechnet man auf vier Tage drei schöne. Eis und Schnee sind
höchst seltene Erscheinungen. Zwar sieht man vom November bis in den März
weiße Berggipfel; denn die Abruzzen haben ein rauhes Klima, ja, der Vesuv
selbst ist oft wochenlang in einen Schneemantel gehüllt. Hier unten aber lacht
ewiger Frühling. Es fällt auch wohl dem Himmel ein, wochenlang ohn' Unterlaß
Wasser herabzuschicken, von einer eigentlichen Regenzeit kann aber nicht die Rede
sein. Auch der deutsche Winter bringt bisweilen Veilchen hervor; um Neapel
gedeihen sie jedoch, uebst vielen andern Blumen, in solcher Fülle, daß die
Knaben vom Lande ganze Körbe voll Sträußchen in der Stadt feilbieten.
Auf dem Ostgestade des Busens von Neapel erhebt sich der Vesuv aus
der Ebene, abgesondert und ohne unmittelbaren Zusammenhang mit den nächsten
Bergen. Er ist gleichsam die Krone der ganzen Landschaft, und so prachtvoll
sein Anblick ist, so herrlich ist der Ausblick von seiner Höhe.
Ein mehrstündiger Weg führt anfangs durch die üppigsten Pflanzungen
von Wein, Feigen und Aprikosen, später durch ein schrecklich ödes, braunrotes
Lavagesild bis zum steilen Kegel des Berges. Auch diesen hinaus geht es
anfangs ziemlich gut; es sind noch große, festliegende Steine da, auf welche
man heim Steigen treten kann; sobald man aber höher kommt, wird der Weg
durch das Geröll und Gebröckel kleiner verbrannter Steine und durch die rot-
braune Erdasche außerordentlich beschwerlich. Bei jedem Schritte aufwärts sinkt
man wiederum einen halben Schritt zurück. Natürlich muß man oft anhalten
und ausruhen, damit die Kräfte sich sammeln. Hier und da ist der Boden sehr
heiß, und ein weißer Rauch qualmt manchmal Sinter den Steinen hervor. Nach
einer halben Stunde ist die beschwerliche Besteigung des Kegels vollendet, wir
stehen glücklich oben am Rande des Kraters.
Der Krater des Vesuv ist ein ungeheurer, rundlicher Kessel, dessen Rand
umher 9—15 oder 16 Meter hoch ist und aus verbranntem Gestein und Asche
besteht, natürlich ist dieser Rand an einer Stelle höher, als an der anderen,
Um den ganzen Krater kann man mit großer Vorsicht auf dem schmalen Rande,
der ihn umgiebt, herumgehen, wozu etwa 1 Stunde erforderlich ist. Daß sich
seine Gestalt bei heftigen Ausbrüchen immer verändert, ist bekannt.
In der Mitte des ungeheuern Kessels ist ein Boden, der eigentliche
Feuerschlund. Man sieht da einen kleinen Kegel, der 7—8 Meter hoch zu
sein scheint und durch das Gestein und die Asche, die der Vulkan immer aus-
wirft, gebildet ist. Auf dem Gipfel dieses Kegels ist eilte Öffnung, aus wel-
cher ein weißer, schwefelgelblich schimmernder, dichter Dampf aufwallt; einige
kleinere Öffnungen sind daneben. Am Fuße dieses kleinen Kraters bemerkt man
an verschiedenen Stellen, deren Zahl sich vermehrt, sobald es dunkel wird, das
Feuer der Erde. Wie düsterrote Kohlenglut sieht man hier das Gestein des
Berges brennen; zwischen dem Feuer hin ziehen sich Lagen der schwarzen, mit
gelbem Schwefel überzogenen Erde. Die innere Wand des Kraters ist steil und
gewährt dem Auge eine gar wilde, schauerlich öde Ansicht.