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1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 382

1888 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
382 83. Das Erdbeben von (Caracas. begriffen, welche schwere Verletzungen erlitten und erst mehrere Monate später aus Mangel an Nahrung und gehöriger Pflege ihren Geist aufgaben. Die Nacht nach dem ersten Ostertage zeigte die herzzerreißendsten Scenen von Elend und Kummer. Die dicke Staubwolke, welche sich über die Trümmer der Stadt erhob und gleich einem Nebel die Luft verdunkelte, hatte sich wieder auf den Erdboden herabgesenkt; die Stoße hatten aufgehört; es herrschte nie eine schönere und stillere Nacht; der Mond, dessen Scheibe fast voll war, beleuch- tete die runden Gipfel des Gebirges, in dessen Thale Caracas liegt, und die Heiterkeit des Himmels stach gegen den Zustand der mit Ruinen und Leichen bedeckten Erde gewaltig ab. Man sah Mütter mit Kindern auf ihren Armen, die sie ins Leben zurückzurufen hofften; trostlose Frauen irrten durch die Stadt, um einen Bruder oder Gatten aufzusuchen, über dessen Schicksale sie in Ungewiß- heit schwebten, und von dem sie glaubten, daß er im Gedränge von ihnen getrennt worden wäre; das Volk drängte sich auf den Straßen, die man jetzt nur an den in geraden Linien aufgehäuften Ruinen unterscheiden konnte, hin und her. Alle Unfälle und Schrecknisse,. welche man bei den Erdbeben von Lissabon, Messina und anderen Orten erfahren hatte, wiederholten sich an diesem unheil- vollen Tage. Die Verwundeten, unter den Trümmern und Schutthaufen begra- den , flehten die Vorübergehenden mit lautem Jammer und Wehklagen um Hilfe au, und mehr als 2000 wurden ausgegraben. Niemals zeigte sich das Mit- leiden auf eine so rührende Weise, niemals sah man es, so zu sagen, in seiner Thätigkeit ersinderischer, als bei diesen Bestrebungen, den Verunglückten, deren Jammergeschrei das Ohr erreichte, Hilfe zu leisten. Unglücklicherweise fehlte es gänzlich an Werkzeugen, die sich zur Ausgrabung des Bodens und zur Weg- räumung der Trümmer eigneten, und mau sah sich genötigt, zum Ausscharren der noch Lebenden die Hände zu gebrauchen. Diejenigen, welche verwundet waren, so wie die Kranken, die sich aus den Spitälern geflüchtet, wurden an das Ufer eines kleinen Flusses geschafft, wo sie kein anderes Schutzdach als das Laub der Bäume hatten. Betten, Leinwand zum Verbände der Wunden, chirurgische Instrumente, kurz alles, was ihre Verpflegung und Behandlung erforderte, lag unter den Trümmern begraben. In den ersten Tagen fehlte es an allem, selbst an Nahrung, ebenso wurde in der Stadt das Wasser selten. Durch die Erschütterung hatten die Brunnenröhren gelitten, und das Einsinken des Erdreichs hatte die Quellen, welche diese mit Wasser versahen, verstopft. Um Wasser zu erhalten, mußte man sich bis zu dem erwähnten kleinen Flusse begeben, der bedeutend angeschwollen war, und auch hier fehlte es an Gefäßen zum Schöpfen, da diese unter den Häusern begraben worden waren. Noch hatte man sich einer Pflicht gegen die Toten zu entledigen, die sowohl die Sitte, als die Furcht vor den ansteckenden Krankheiten, welche aus der Fäulnis der Leichname entstehen konnten, gebot. Da es unmöglich war, so viele Tausende halb unter dem Schutt begrabener Leichname zu beerdigen, so wurden Kommissäre ernannt, um sie zu verbrennen. Mitten unter dem Schutt wurden Scheiterhaufen errichtet, und die Verbrennung der Leichen dauerte zwei ganze Tage. Bei diesen allgemeinen Leiden und Unfällen suchte das Volk den zürnenden Himmel durch eifrige religiöse Übungen zu besänftigen. Viele zogen in ganzen Gesellschaften umher und sangen Sterbelieder, während andere auf
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