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1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 404

1888 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
404 91. Leben de- Luchses in den Alpen. keit ihn zum offnen Angriff nicht befähigen. Geduldiges Lauern, außerordent- lich leises, katzenartiges Schleichen bringt ihn zu Beute. Er ist nicht so schlau als der Fuchs, aber geduldiger; nicht so frech als der Wolf, aber ausdauern- der, von gewandterm Sprung; nicht so kräftig als der Bär, aber scharfsinniger, aufmerksamer. Seine größte Kraft liegt in den Füßen, der Kinnlade und dem Nacken. Er weiß sich die Jagd bequem zu machen und ist nur wählerisch in der Beute, wenn er Fülle hat. Was er mit seinem langen, sichern Sprung erreicht, wird niedergerissen; erreicht er sein Tier nicht, so läßt er es gleichgültig fliehen und kehrt ohne ein Zeichen von Gemütsbewegung auf seinen Baumast zurück. Er ist nicht gefräßig, aber er liebt das frische, warme Blut und wird durch diese Liebhaberei unvorsichtig. Erlauert er am Tage nichts und wird er hungrig, so streift er des Nachts umher, oft ungeheuer weit, aus drei bis vier Alpen; der Hunger macht ihn mutig und schärst seine Klugheit und seine Sinne. Trifft er eine weidende Schaf- oder Ziegenherde, so schleicht er, schlangenartig auf dem Bauche sich windend, heran, schnellt sich im günstigen Augenblicke vom Boden auf, dem aufspringenden Tiere auf den Rücken, zerbeißt ihm die Puls- ader oder das Genick und tötet es so augenblicklich. Dann leckt er zuerst das Blut, reißt dann den Bauch auf, frißt die Eingeweide und etwas vom Kopf, Hals und Schultern und läßt das Übrige liegen. Nicht selten aber reißt er drei bis vier Ziegen oder Schafe auf einmal nieder, ja, er fällt im Hunger selbst Kälber und Kühe an. Ein im Februar 1813 im Kanton Schwyz am Axeuberge geschossener hatte in wenigen Wochen an vierzig Schafe und Ziegen zerfleischt. Im Sommer 1814 zerrissen drei oder vier Luchse in den Gebirgen des Simmenthales 160 Schafe und Ziegen. Hat der Luchs aber Wildbret genug, so hält er sich an dieses und scheint eine gewisse Scheu zu haben, sich durch Zerreißung der Haustiere zu verraten. Die in den Alpen lebenden Gemsen fällt er mit Vorliebe an, doch übertreffen ihn diese an Feinheit der Witterung und entgehen ihm häufig, selbst wenn er sich an ihre Wechsel und Sulzen in Hinterhalt legt. Häufiger erbeutet er Dachse, Murmeltiere, Alpenhaseu, Hasel-, Schnee-, Birk- und Ur- hühner und greift im Notfall selbst zu Eichhörnchen und Mäusen. Selten fällt ihm im Winter, wo er sich so oft in die unteren Berge und selbst in die Thäler wagen muß, ein Reh zu; dagegen versucht er es wohl, sich unter der Erde nach den Ziegen und Schafställeu durchzugraben, wobei einst ein Ziegen- bock, der den unterirdischen Feind bemerkte, als er eben den Kopf aus der Erde hob, diesem so derbe Stöße zuteilte, daß der Räuber tot in seiner Mine liegen blieb. Die Luchse vermehren sich nicht stark. Regelmäßige Luchsjagden finden bei der Seltenheit des Raubtieres nicht statt. Findet man auch Spuren seiner Mordgier, so ist doch der Thäter gewöhnlich sehr weit weg und flieht, wenn er förmlich gejagt wird, in ganz andere Gegenden. Stößt ihm aber der Jäger unvermutet auf, so weicht der Luchs nicht von der Stelle und ist sehr leicht zu schießen. Er bleibt ruhig auf seinem Baume liegen und starrt den Menschen unverwandt an, wie die wilde Katze; ja, der unbewaffnete Jäger überlistet ihn sogar, indem er ein paar Kleidungsstücke vor ihn hinpflanzt und inzwischen zu Hause seine Flinte holt. Der Luchs starrt auf die Kleider so lange, bis das Gewehr bei der Hand ist und der Schuß fällt. Aber auch hier
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