1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
103. Das Kamel,
421
Schnur geht, die fest an den Schlitten befestigt wird. Der Leitstrang ist an die
Wurzel des Geweihs geknüpft und wird bald nach der einen, bald nach der
anderen Seite geworfen, wenn man links oder rechts lenken will. Es übertrifft,
wenn nicht an Schnelligkeit, so doch an Ausdauer das Pferd und läuft bestän-
dig im Trabe. Doch soll, was auch leicht einzusehen ist, eine solche Schlitten-
fahrt nicht die angenehmste sein, indem man beständig arbeiten muß, um den
leichten Schlitten im Gleichgewicht zu erhalten. Auch soll das Tier öfters hals-
starrig werden, sich umdrehen und mit den kräftigen, gefährlichen Füßen nach
dem Reisenden schlagen, dem dann nichts weiter übrig bleibt, als den Schlitten
umzuwerfen und in Geduld abzuwarten, bis es wieder besänftigt ist. Es greift
beim Laufen weit aus und spreizt die Hufe auseinander, um leicht, ohne ein-
zusinken, über den Schnee wegkommen zu können. Beim Laufen hört man
weithin ein starkes Knacken, wie bei dem Elen. Dieses Geräusch entsteht zum
Teil vom Anschlagen der Afterklauen und der wahren Hufe gegeneinander.
Die Milch, die ein- oder zweimal des Tages in kleinen Portionen gemolken
wird, ist äußerst nährend. Durch bloßes Schütteln wird sie zu schneeweißer Butter,
die jedoch nur im Sommer bei gutem Futter schmackhaft, allein im Winter talgig
fein soll. Außer dieser wird vom Renntier fast alles benutzt, und das Fleisch
von jungen und besonders von wilden Tieren ist sehr saftig und schmackhaft.
Feinde haben sie an den Bären, Wölfen und Vielfraßen; die ersteren
jagen sie gesellschaftlich und verfolgen sie m Gebirgen so lange, bis eins oder
das andere in einen Abgrund stürzt oder ermattet gepackt wird.
Sind Renntiere in großen Herden beisammen, so wehren sie sich mit
ihrem kräftigen Vorderfuße gegen den Angriff der Wölfe, die sie öfters nicht
allein zurückschlagen, sondern auch manchmal töten. Der Vielfraß jedoch soll
ihnen bei weitem der gefährlichste sein; denn er lauert heimtückisch auf den
Ästen eines Baumes und stürzt dem arglos dahin gehenden Tiere ins Genick,
wo er sich festbeißt und so lange würgt, bis das Tier ermattet zusammenstürzt.
Ihr lästigster Feind oder vielmehr ihre größte Plage sind zwei Arten
Bremsen. Die Renntierbremse verfolgt sie den ganzen Tag, bis sie einen gün-
stigen Augenblick erhascht, um ihr klebriges, weißes Ei auf ihren Rücken nieder-
fallen zu lassen. Die aus dem Ei bald ausgeschlüpfte Made bohrt sich in die
Haut ein und erregt ein Geschwür. Viele solcher Madengeschwüre können ein
Tier zu Grunde richten. Die Nasenbremsen legen dem Tiere die Eier in die
Nase, wo die Maden ihm viele Beschwerden verursachen. Es schnaubt dann
beständig und schlägt mit dem Kopf um sich, um diese bösen Gäste zu entfernen.
Wenn der Schnee friert oder es entsteht dickes Glatteis, so verhungern viele,
weil sie nicht mit ihren Füßen den Schnee von ihrem Futter wegscharren können.
Alle Versuche, dieses höchst nützliche Tier in die Hochgebirge der südlichen
Regionen Europas einzuführen, sind gescheitert. Die Tiere starben in wenig
Jahren und pflanzten sich nicht fort. Kaup.
D
103. Das Kamel.
ie eigentlichen Kamele, welche in der alten Welt leben und mit den Lamas
der neuen Welt eine zusammengehörige Familie ausmachen, sind große^