1880 -
Sondershausen
: Eupel
- Hrsg.: Helmrich, Karl, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
35
Kindern, sic würden ihn ernähren. Da er nun bei seinem ältesten Sohne
eine Zeit lang war, wurde der Sohn sein überdrüssig und sprach: „Vater,
mir ist diese Nacht ein Knäblein geboren, und wo jetzt euer Armstuhl ist,
soll seine Wiege stehen; wolltet ihr nicht zu meinem Bruder ziehen, der
eine größere Stube hat?" — Da er nun eine Zeit lang bei dem andern
Sohne gewesen war, wurde der auch sein müde und sprach: „Vater, er hat
gern eine warme Stube, und mir thut der Kopf davon weh; will er nicht
zu meinem Bruder gehen, der ein Bäcker ist?" — Der Vater ging; und
da er nun eine Zeit lang bei dein dritten Sohne gewesen war, wurde er
auch diesem zur Last, daß er sprach: „Vater, bei mir geht es ans und ein
wie in einem Tanbenschlage, und du kannst dein Mittagsschläfchen nicht
machen; willst du nicht zu meiner Schwester, der Küthe, die wohnt an der
Stadtmauer?" Der Alte merkte, wie viel es geschlagen hatte, und sprach
bei sich selbst: Wohlan, das will ich thun; ich will mich aufmachen und es
bei meinen Töchtern versuchen! Die Weiber haben ein weicheres Herz.
Da er aber eine Zeit lang bei seiner Tochter gewesen war, wurde
sie sein überdrüssig und meinte, es sei ihr immer Höllenangst, wenn der
Vater zur Kirche oder sonst wohin gehe und die hohe Treppe hinunter
müsse; bei der Schwester Lisabeth brauchte er keine Treppe zu steigen r die
wohne zur ebenen Erde. — Damit er in Frieden wegkam, gab ihr der
Alte zum Schein recht und zog zu seiner andern Tochter. Und da er eine
kurze Zeit bei ihr gewesen war, wurde sie sein müde und ließ ihm durch
einen Dritten zu Ohren kommen, ihr Quartier an der Pegnitz wäre zu
feucht für einen Mann, der mit der Gicht geplagt sei; ihre Schwester, die
Todtengräberin bei St. Johannes, hätte eine überaus trockene Wohnung.
Der Alte glaubte selbst, sie könne recht haben, und begab sich vor das Thor
zu seiner jüngsten Tochter Lene. — Und als er zwei Tage bei ihr gewesen
war, sagte ihr Söhnlein zu seinem Großvater: „Die Mutter sprach gestern
zu der Base Lisabeth, für dich gebe es kein besseres Quartier, als in einer
Kammer, wie sie der Vater grabe."
Ueber dieser Rede brach dem Alten das Herz, daß er in seinen Arm-
stuhl zurücksank und starb. St. Johannes nahm ihn ans und ist barm-
herziger gegen ihn, als seine sechs Kinder, denn er läßt ihn in seiner
Kammer immer ungehindert schlafen seit der Zeit. — Darum sagt man
im Sprichwort, daß ein Vater leichter kann sechs Kinder ernähren, denn
sechs Kinder einen Vater. Stöber.
50. Die sieben Stäbe.
Ein Bauersmann hatte sieben Söhne, die öfter mit einander un-
eins waren. Über dem Zanken und Streiten versäumten sie die Ar-
beit. Ja, einige böse Menschen machten sich die Uneinigkeit zu
Nutzen und trachteten, die Söhne nach dem Tode des Vaters um ihr
väterliches Erbtheil zu bringen.
Da liess der Vater eines Tages alle sieben Söhne zusammenkom-
men, legte ihnen sieben Stäbe vor, die fest zusammengebunden waren,
und sagte: „Dem, der dieses Bündel Stäbe zerbricht, zahle ich hun-
dert grosse Thaler haar.“
Einer nach dem andern strengte lange seine Kräfte an, und
jeder sagte am Ende: „Es ist gar nicht möglich!“
3*