1880 -
Sondershausen
: Eupel
- Hrsg.: Helmrich, Karl, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
129
Zu König Heinrich des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein vom Lande
her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt gesellte sich
zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welcher der König war, und
sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung zurück. „Woher
des Landes, guter Freund?" — „Da und da her." — „Ihr habt wohl
Geschäfte in Paris?" — „Das und das, auch möchte ich unsern guten
König einmal sehen, der so väterlich sein Volk liebt." — Da lächelte der
König und sagte: „Dazu kann euch heute Gelegenheit werden." — „Aber
wenn ich auch nur wüßte, welcher es ist unter den vielen, wenn ich ihn
sehe!" — Der König sagte: „Dafür ist Rat. Ihr dürft nur acht geben,
welcher den Hut allein auf dem Kopfe behält, wenn die andern ehrerbietig
ihr Haupt entblößen." — Also ritten sie mit einander in Paris ein, und
zwar das Bäuerlein hübsch auf der rechten Seite des Königs. Denn das
kann nie fehlen: was die liebe Einfalt Ungeschicktes thun kann, sei es gute
Meinung oder Zufall, das thut sie. Aber ein gerader und nnverkünstelter
Bauersmann, was er thut und sagt, das thut und sagt er mit ganzer
Seele, und ficht nicht um sich, was geschieht, wenn's ihn nicht angeht.
Also gab auch der unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landban,
nach seinen Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topfe
habe, gesprächige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber, als er
doch sah, wie sich alle Fenster öffneten, und alle Straßen mit Leuten sich
füllten, und alles rechts und links answich und ehrerbietig das Haupt ent-
blößt hatte, ging ihm ein Licht auf. „Herr!" sagte er und schaute seinen
unbekannten Begleiter mit Bedenklichkeit und Zweifel an, „entweder seid
ihr der König oder ich bin's, denn wir zwei haben noch allein die Hüte
auf dem Kopf." Da lächelte der König und sagte: „Ich bin's. Wenn
ihr euer Rößlein eingestellt und eure Geschäfte besorgt habt," sagte er, „so
kommt zu mir in mein Schloß. Ich will euch alsdann mit einem Mittags-
süpplein aufwarten und euch auch meinen Ludwig zeigen."
Von dieser Geschichte rührt das Sprichwort her, wenn jemand in einer
Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf dem
Kopfe behält, daß man ihn fragt: „Seid ihr der König oder der Bauer?"
Hebel.
187. Untreue.
Eine Maus wäre gern über ein Wasser gewesen, konnte aber
nicht und bat darum einen Frosch um Rat und Hilfe. Der Frosch
war ein Schalk und sprach zur Maus: „Binde deinen Fuss an meinen
Fuss, so will ich schwimmen und dich hinüber ziehen.“ Da sie nun
aufs Wasser kamen, tauchte der Frosch unter und wollte (he Maus
ertränken. Indem aber die Maus sich wehrt und arbeitet, fliegt ein
Habicht daher und erhascht die Maus, zieht den Frosch mit heraus
und frisst sie beide.
Sieh dich vor, mit wem du handelst. Die Welt ist falsch und
Untreuen voll; denn welcher Freund es dem andern vermag, der
steckt ihn in den Sack. Doch schlägt Untreue allezeit ihren eigenen
Herrn, wie dem Frosch hier geschieht. Luther.
Helmri ch, Vaterländ. Lesebuch. g