1880 -
Sondershausen
: Eupel
- Hrsg.: Helmrich, Karl, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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ohne vielen Holzaufwand wie in Holland, und über den niedrigen Thüren
ist immer ein kleiner, schmaler Bogen, der schneeweiß angekalkt ist, der ein-
zige übertünchte Streifen am ganzen Hause. Neben den Thüren findet
man immer zwei eiserne Ringe angeschlagen, um Reitpferde daran anzu-
binden; denn bei der argen Weglosigkeit der Marsch im Herbst und Winter
reiten die Bewohner lieber zu einander, selbst die Weiber, die von ihren
Männern hinten auf das Kreuz des Pferdes genommen werden.
Einen eigentümlichen Zug bilden in der Landschaft die Deiche, die
sich in langen Linien durch die Wiesen strecken. Man unterscheidet sie in
Binnen- und Haf- oder Seedeiche. Mit dem letzten Namen wird der
äußere Deich, der gegen die See schützt und unmittelbar an der Küste hin-
läuft, bezeichnet. Wenn das Land nach dem Meere zu anwächst und dann
durch seine Eindeichung ein neuer „Hafdeich" entsteht, so wird der alte da-
durch ein Binnendeich; denn man läßt diese bestehen, weil ihre Wegschaf-
fung sehr kostspielig sein würde, und weil sie auch beim etwaigen Durch-
bruch des Hasdeiches doch noch schützen können. — Weil die Deiche meistens
erhaben und daher trockener sind, als die tiefliegenden Marschen, so fährt
man gern auf ihren Rücken hin, und es bilden sich daher namentlich ans
den Binncndeichen Wege aus. Ans den Hafdeichen zu fahren, erlaubt man
aber nicht in allen Marschländern, weil die Wagen dem Deiche schaden.
Die auf den hohen Deichen sich bewegenden Wagen, Fußgänger und Reiter
gewähren in der Ferne einen eigentümlichen Anblick. Sie sehen gespenstisch
aus, und man begreift, warum die Marschbewohner so oft Gespenster auf
den Deichen wandeln sehen.
Als letzte Eigentümlichkeit muß man noch die tiefen Gräben er-
wähnen, die um alle Marschwiesen und Marschücker gezogen sind, um sie
trocken zu legen, und dann die Kanäle und Schleusen, um die süßen
Landgewässer ans Meer abzuführen. Im Sommer sind die Gräben zum
Theil trocken und voll Vieh, das darin graset. Die Kühe schienen mir
alle außerordentlich zahm, sanft und klug; denn eine jede, bei der wir vor-
beifuhren, hob ihren Kopf aus dem Grase empor, blickte uns neugierig an
und brüllte, als wollte sie uns begrüßen.
Kohl.
14. Die Halligen.
An der Westküste von Schleswig liegen, umflutet von den Wogen der
Nordsee, mehrere Inseln, die als Überreste einer zusammenhängenden, dem
Meere zum Raube gewordenen Landstrecke anzusehen sind. Die größeren
dieser Eilande sind durch Deiche vor den Meeressluten geschützt, welche
täglich neue Versuche machen, den letzten Brocken ihres großen Raubes zu
verschlingen. Die kleineren derselben führen den Namen die Halligen.
Eine solche Hallig ist ein flaches Grasfeld, das kaum zwei oder drei Fuß
höher liegt, als der gewöhnliche Stand des Meeres, und daher sehr oft,
besonders in den Wintermonaten von der wogenden See überschwemmt
wird. Die bedeutendsten dieser Halligen sind noch keine halbe Quadrat-
meile groß, die kleineren, oft nur von einer Familie bewohnten, kaum nur
ein paar tausend Fuß lang und breit; die kleinsten und unbewohnten dienen
nur dazu, ein wenig kurzes und feines Heu zu gewinnen, das aber sehr
oft, ehe es geborgen werden kann, von der Flut weggespült wird. Das