1880 -
Sondershausen
: Eupel
- Hrsg.: Helmrich, Karl, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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der Orinoko, der Amazonenstrom und der La Plata. An allen
diesen Flüssen ziehen sich unabsehbare Llanos oder Wiesenebenen hin. Die
Orinokoebene ist größer als Deutschland, aber ohne Quellen und Bäume.
In der trockenen Jahreszeit ist sie eine von der Sonne verbrannte, dürre
Flüche; der Boden klafft in Spalten, und Staubwolken steigen in die
brennend heiße Luft. In der Regenzeit dagegen bedeckt sie sich schnell mit
dem prächtigsten Graswuchse. Tritt der Orinoko über die User, so ver-
wandelt sich die Steppe in einen Wasserspiegel. Nur vereinzelte Hügel
ragen empor. Hierher flüchten sich Pferde, Maulthiere und Rinder, die,
von kühnen Hirten bewacht, frei umherstreifen. — Der Amazonen ström
ist der größte Strom der Erde; in einer 40 Meilen breiten Mündung
wälzt er seine Fluten in den atlantischen Ozean. So gewaltig fällt seine
Wassermasse ins Meer, daß man die Kraft seiner Wogen noch 60 Meilen
weit im Meere verspürt. In der Ebene des Amazonenstroms breitet sich
ein zusammenhängendes Waldgcbiet ans, das 6 mal größer ist als Deutsch-
land. Dieser Urwald ist für den Menschen meist unzugänglich, oder man
muß sich den Weg mühsam durch das üppige Unterholz und durch das
Gewirre von Schlinggewächsen mit der Apt bahnen. Der Hauptschmuck
dieser Wälder sind die Farrenkräuter, die dort so groß werden wie die
Bäume in unsern Fichtenwaldnngen, und die Palmen. Astlos erheben sich
unzählige Säulen derselben, dicht an einander gedrängt; 20 bis 30 Meter
über der Erde wird von ihren gewaltigen Blätterkronen ein dichtes, grünes
Dach gebildet. Nur selten dringt ein Strahl der Sonne durch dasselbe
hindurch, so daß selbst am Mittag der Wald in tiefes Dunkel gehüllt ist.
— Auch am La Platastrom dehnen sich ungeheure, theils sumpfige,
theils kalkige, dürre Flächen aus. Auf letzteren wachsen aber doch einzelne
Bäume und Gesträucher; besonders gedeihen hohe Disteln und prachtvoll
blühende Kaktuspflanzen, die durch ihre Stacheln dem Wanderer den Weg
versperren.
An den seichten Stellen der großen Flüsse Südamerikas liegen mit
offenem Rachen, unbeweglich wie Felsstücke hingestreckt, die nngeschlachten
Körper der Krokodile. In den Lachen wälzen sich die Zitteraale mit ihrem
elektrischen Leibe. Den Schwanz um einen Baumstamm befestigt, lauert
am Ufer, ihrer Beute gewiß, die tigerflcckige Boaschlange. Schnell schießt
sie auf den unter dem Baume hinlaufenden Stier oder aus das schwächere
Wildbret; sie überzieht den Raub mit Geifer und zwängt ihn mühsam
durch den stark anschwellenden Hals. Der Urwald widerhallt von dem
Gebrüll der Jaguare und von dem dumpfen, Regen verkündenden Gebrüll
bärtiger Affen. Die grün, blau und rot gefärbten Papageien erfüllen auf
den Gipfeln der Bäume die Luft mit ihrem krächzenden Geschrei, während
das Faulthier träge am Stamme hängt. Schlangen, noch schöner als die
Blumen, winden sich im Grase und haschen nach Insekten und Vögeln.
Bunte, mit den Regenbogenfarben wetteifernde Schmetterlinge umgaukeln
die großen, prächtigen Blumen. Käfer leuchten wie Edelgestein in wunder-
barem Glanze. Kolibris, deren Gefieder den Smaragden und Rubinen
nichts nachgibt, flattern von Blume zu Blume. Zahllose Herden von ver-
wilderten Pferden und Rindern schweifen in den Steppen umher; tausende
von ihnen werden jährlich mit Schlingen gefangen. Häute und Hörner
der Rinder werden in großer Menge nach Europa versendet, während man
den größten Theil des Fleisches den Raubthieren überläßt,
Helmrich, Vaterland. Lesebuch.
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