1880 -
Sondershausen
: Eupel
- Hrsg.: Helmrich, Karl, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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Erde, ferner die unbezwingliche Helden kraft, die in den Schlachten den
Sieg erkämpft, — das waren des Volkes Gottheiten. Der höchste Gott
hieß Wo dam Er regierte die Welt und^lcnkte der Menschen Schicksal, er
verlieh den Sieg und nahm die in der Schlacht gefallenen Helden ans in
seinen Himmelssaal. Weil er an der Spitze aller Götter stand und den
Menschen jeglichen Segen spendete, führte er auch den schönen Namen All-
vater. Eine mütterliche Gottheit war Nerthus, die Göttin der Erde.
Auf einer Insel im nördlichen Meere lag ein stiller Hain, dessen uralte
Buchen einen kleinen See beschatteten. In dem Haine stand ein geweihter
Wagen, mit Tüchern überdeckt. Zu gewissen Zeiten, wahrscheinlich beim
Beginn des Frühlings, wenn die Erde zu neuem Leben erwacht, kam die
Göttin dorthin. Dann fuhr der Wagen, mit geweihten Kühen bespannt,
von Priestern geleitet, durch das Land. Das waren festliche Tage für das
Volk; da ruhten die Waffen, da herrschte nur Friede und Freude. Nach
vollbrachtem Umzug kehrte der Götterwagen nach dem heiligen Haine zu-
rück, wurde in dem See gewaschen, und die Göttin verschwand wieder von
der Erde. — Wie Nerthus, hatten auch die übrigen Götter ihre Heilig-
tümer im Dunkel der Haine und Wälder. Dorthin wallfahrte man;
dort, unter alten geheiligten Bäumen brachte man Pferde, die liebsten
Thiere, ja wohl auch Menschen, als Opfer dar; dort betete man, den Blick
gen Himmel gekehrt, zu der unsichtbaren Gottheit. Tempel und Götzen-
bilder hatten die Deutschen nicht; die Götter erschienen ihnen zu erhaben,
um in Gebäuden von Menschenhänden wohnen zu können, oder in mensch-
licher Gestalt abgebildet zu werden. An ein künftiges Leben glaubten sie
fester, als irgend ein heidnisches Volk. Darum kannten sie keine Todes-
furcht. Der Tod in der Schlacht führte ja die Tapferen nach Walhalla,
der himmlischen Burg Wodans, wo sie alles in Fülle fanden, was sie auf
Erden beglückte: unaufhörliche Heldenkämpfe, fröhliche Jagden, festliche
Schnmnsereien. Die Feigen freilich und die Gottlosen waren von Wal-
hallas Freuden ausgeschlossen; sie kamen in das Reich der Hel, die Hölle,
und mußten dort in ewiger Finsternis schmachten. Andrä.
2. Hermann, Deutschlands Befreier.
Gegen das Jahr 9 nach Christi Geburt führte der römische Statt-
halter Varus in Deutschland den Befehl. Er hielt schon auf römische
Weise Gericht; römische Advokaten legten das Recht mit aller Spitzfindig-
keit aus, und, was die Deutschen am meisten aufbrachte, Varus ließ nach
römischer Sitte die Beile mit den Rutenbündeln vor sich hertragen, welche
ein Zeichen seines Rechts über Leben und Tod und zu körperlicher Züch-
tigung sein sollten. Eine Züchtigung aber mit Schlägen wäre dem freien
deutschen Manne die entsetzlichste Beschimpfung gewesen. Die Gegenden
zwischen dem Rheine und der Weser schienen dem Varus schon so gut wie
Unterthan. Da regte sich der Groll der Deutschen, und sie dachten darauf,
den zudringlichen Fremdling los zu werden.
Unter dem Volke der Cherusker staud ein Jüngling auf, der schon
eine Zeit lang, im römischen Heere gedient, die Kunst des Krieges erlernt
und selbst die römische Ritterwürde erlangt hatte. Er hieß Hermann
oder Armin. Ein schöner und gewaltiger Held, edlen Geschlechts, un-
tadelig von Sitten, klug wie wenige seines Volkes, von feuriger Bered-