1880 -
Sondershausen
: Eupel
- Hrsg.: Helmrich, Karl, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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vernichtend, war er doch anch voll Güte gegen die, welche er in seinen
Schutz genommen hatte. Im Kriege führte er seine Völker immer selbst
zur Schlacht; aber im Frieden saß er auch selbst vor seinem Palaste zu
Gericht und sprach allen Recht ohne Unterschied. Um sich her liebte er
die Pracht, aber er selbst lebte auf einfache Weise, als bedürfe seine Größe
solches Zusatzes nicht. Sein Sattelzeug war ungeschmückt und wenig kostbar.
Bei den Gastmählern wurden allen Gästen goldene und silberne Geschirre
vorgesetzt, er allein hatte hölzerne. Nach der Sitte seines Volkes ver-
schmähte er Brot und aß nur ein wenig Fleisch. Nach jedem Gerichte
ging der Becher herum ans Attilas Wohl, und Sänger priesen in Helden-
liedern seine Thaten; aber es fehlte anch der Hofnarr nicht. Während
unter den Güsten Freude und Scherz herrschte, verlor er nie den strengen
Ernst. Bloß wenn sein jüngster Sohn eintrat, erheiterten sich seine Züge,
und er liebkoste ihn; denn von diesem war ihm geweissagl, er allein werde
Attilas erlöschenden Stamm erhalten.
Dieser mächtige Herrscher, vor dem hundert Völker erbebten und
Rom und Konstantinopel in ihren Grundfesten erzitterten, wenn er sein
Schwert in die Erde stieß, brach im Jahre 45l mit einem Heere von
700 000 Mann auf und wandte sich gegen Abend. Er zog durch Deutsch-
land, ging über den Rhein und fiel in Frankreich ein. Sein Zug war
wie ein Heer der Heuschrecken, das in ein grünes Feld einfällt: das Land
ist vor ihm wie ein Lustgarten, aber nach ihm wie eine wüste Einöde. Im
westlichen Römerrciche war damals ein großer Feldherr, Aetius mit
Namen. Dieser brachte die ganze Macht des Reiches ans und verband sich
mit mehreren deutschen Stämmen, als den Westgothen, Alanen, Franken
und Burgundern; denn es galt nichts Geringeres, als den Kampf der
gebildeten Welt mit der rohen Barbarei. In der weiten Ebene, in welcher
Chalons liegt, und die von den Alten die kat«launischen Felder ge-
nannt wird, stießen die Heere ans einander. Als die Schlacht ihren An-
sang nehmen sollte, rief' Attila die Anführer seiner Scharen zusammen
und sprach: „Nichts Gemeines ziemt mir euch zu sagen, oder euch, von
mir zu hören. Seid Männer! Greift an, brechet ein, werfet alles nieder!
Der Römer Schlachtordnung und Schilddächcr verachtet; fallet ans die
Westgothen und Alanen, in denen ist die Kraft des Feindes. Müßt ihr
sterben, so werdet ihr sterben, auch wenn ihr flieht. Richtet eure Augen
auf mich! Ich schreite voran, wer mir nicht folgt, der ist des Todes."
Die Schlacht war über die Maßen hart und blutig. Schon durchbrachen
die Hunnen das Mitteltreffen, und die Römer flohen; anch die West-
gothen wichen, und ihr König fiel, indem er zu seinem Volke redete. Aber
sein Tod entflammte die Seinen zur Wut, und des Königs Sohn warf
durch gewaltigen Angriff die Feinde in die Flucht. Bei einbrechender
Nacht mußte Attila sich in seine Wagenburg zurückziehen. An 200 000
Todte und Verwundete deckten das Feld; das Blut floß in Bächen, und
die Verwundeten tranken von dem Blute, um nicht vor Durst zu ver-
schmachten. Da Attila nicht wußte, ob der Feind ihn verfolgen würde,
ließ er unzählige Pferdesättel und hölzerne Schilde zu einem Scheiterhaufen
aufthürmen, um im Notfälle ihn anzuzünden und in den Flammen zu
sterben. Zugleich gebot er, um die Feinde abzuschrecken, mit Waffen,
Posaunen, Schlachthörnern und Gesang die ganze Nacht Lärm zu machen.
Doch die Feinde griffen ihn nicht an. Unter den dichtesten Haufen der