1895 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: Zöllner, C. Wilhelm, Schuberth, Wilhelm, Scholtze, Adolf, Pfalz, Franz
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
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phantastischen Einfällen und zu einem wüsten Treiben. So wollten sie
die Gütergemeinschaft der ersten christlichen Gemeinden wiederherstellen
und billigten deshalb einen gewaltsamen Umsturz der bestehenden
staatlichen Ordnung. Im Jahr 1534 bemächtigten sie sich der Stadt
M ü n st e r.
Hier hatte ein Prediger, Bernhard Rottmann, der protestan-
tischen Lehre Eingang verschafft, und der Bischof Franz vonwaldeck
war dem Verlangen der Bürger nicht schroff entgegengetreten, sondern
hatte nur für sich und das Stift den katholischen Gottesdienst aus-
bedungen. Aber Rottmann neigte sich der Lehre der Wiedertäufer zu
und lockte dadurch Glaubensgenossen aus den Niederlanden herbei.
Unter den Eingewauderten waren die eifrigsten Johann Matths
aus Hartem, einer der beredtesten Führer der Sekte, und dessen sehr
begabter Schüler, der Schneider und Gastwirt Johann Bockelson
aus Leiden (Johann von Leiden). Die Wiedertäufer zwangen
den Rat, abzudanken, und trieben alle, die sich nicht taufen ließen, 51t
den Thoren hinaus. Gleichzeitig aber erbat sich auch der Bischof die
Hilfe der benachbarten Fürsten und belagerte die Stadt. Bei einem
Ausfalle wurde der Prophet Matths getötet, der einzige, der noch
Mäßigung gezeigt hatte. Nun brachen in der von der Außenwelt ab-
gesperrten Stadt alle Leidenschaften hervor, die eine überspannte reli-
giöse Aufregung wachrufen kann. Die Gütergemeinschaft wurde streng
durchgeführt, alles Geld und alle Vorräte mußten in den gemeinschaft-
lichen Schatz abgeliefert werden, die Vielweiberei wurde erlaubt, und
Johann von Leiden machte sich zum König des „neuen Jerusalems".
Solange die Lebensmittel ausreichten, hatte es keine Not, aber als der
Hunger die Menschen erschreckte, konnte nur eine despotische Gewalt den
Gehorsam aufrecht erhalten. Der König,sein Kanzler Kr e ch t in g und sein
Henker, der Bürgermeister K ni p p e r d 0 l l i n g, bestraften jeden Wider-
spruch mit dem Tode. Um dem Elend ein Ende zu machen, verrieten
einige Bürger, die in das bischöfliche Lager entflohen waren, eine
weniger gut verteidigte Stelle des Walles. Der Sturm wurde unter-
nommen, die Mauer überstiegen und die Stadt nach einem hartnäckigen
Straßenkampfe erobert (im Juni 1535). Johann von Leiden, Krechting
und Knipperdolling gerieten in Gefangenschaft und erlitten einen qual-
vollen Tod durch Henkershand. Sie wurden eine Stunde lang mit
glühenden Zangen gezwickt und dann umgebracht. Ihre Körper legte
man in einen eisernen Käsig und hing diesen am höchsten Turme der
Stadt, am Lambertusturme, auf. Mit dem Sektenwesen ging auch die