1873 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 17
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule, Simultanschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten, Simultanschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Konfession (WdK): Konfessionell gemischt
- 102,-
boch handeln sie mit einer solchen Überlegung und solcher Weisheit, daß
sie manche Menschen beschämen könnten. Sie thun jederzeit das Rechte,
weil Gott für sie denkt und ihnen sagt, was sie thun sollen; denn der
Schöpfer ist es, der ihnen das Nesterbauen lehrt und ihnen den Weg
durch den weiten Himmelsraum zeigt. Darum fliegen sie getrost bei
Tag und Nacht, ohne Angst Md Sorge, ob sie auch Nahrung finden
werden: überall, wohin sic kommen, ist ihnen schon der Tisch gedeckt.
Und weil eine höhere, unsichtbare Hand ihnen bauen hilft, so wird
das Nest auch so gut und fest, daß die Jungen vor Wind und Regen
trefflich geschützt sind, und daß die Alten viele Jahre lang ihr altes
Haus stets wohl erhalten finden und immer von neuem ihre Eier hinein-
legen können. Ein Naturforscher band einem Paar Schwalben, die in
seinem Hause nisteten, einen Seidenfaden an die Beine, um sie wieder
zu erkennen; und siehe, sie kehrten 18 Jahre lang in dieselben Nester
zurück, die so gut angelegt waren, daß selten eine Ausbesserung vor-
genommen wurde. Man nahm eine Rauchschwalbe zur Zeit als sie
brütete, verschloß sie in einen Käsig und reiste mit ihr viele Meilen
weit fort. Dann gab man ihr wieder die Freiheit, und der Vogel
erhob sich erst hoch in die Luft, als wollte er sich umschauen und zu-
recht finden: dann richtete er seinen Flug genau nach der Stelle hin,
wo er die junge Familie verlassen hatte.
Wenige Vögel wissen so schnell und geschickt zu fliegen, wie die
Schwalbe. Da sie vom Schöpfer auf einen fortwährenden Aufent-
halt in der Luft angewiesen ist und ihre Nahrung nur im Fluge er-
hascht^ so hat sie lange, an festen Muskeln befindliche Flügel bekom-
men, mit denen sie sehr leicht die Luft durchschneidet und schnell zu segeln
vermag. Zu schnellen Wendungen ist der getheilte, gabelförmige Schwanz
besonders geschickt. Wenn man erwägt, wie viele tausend Mal so ein
Vöglein seine Flügel den Tag hindurch schwingen muß, und doch bis
am Abend frische Kraft behält: so muß man die weise Ökonomie,
welche in die kleinen Muskeln so viel Kraft und Ausdauer legte, be-
wundern. Fast jeder große Vogel vermag in einem Tage 125 Meilen
zurückzulegen; die Schwalbe fliegt aber in einer Stunde zehn Meilen,
also 240 Meilen in einem Tage. Da bei der Schwalbe die Flüge!
entschieden die Hauptsachen sind, da sie wenig zum Sitzen kommt, noch
weniger zum Gehen, so sind auch ihre Füße demgemäß nur klein und
schwach gebildet, um den Flug so wenig als möglich zu behindern.
Dieselbe Weisheit, welche dem Huhne Gangfüße, dem Specht Klet-
terfüße, dem Falken die starken Fänge, dem Storche die langen
Beine zum Waten verliehen hat: die hat auch die Beine der Schwalbe
so klein und zart gebildet. Eben so ist der Schnabel, welcher nur leichte,
winzige Nahrung aufzunehmen hat, sehr klein und dünn, dabei ungebogen
Md pfriemförmig, um desto besser die Luft zu durchschneiden, ,und so
weit zum Auffperren, daß der ganze Schwalbenkopf in die Öffnung
hineinginge. Es sollen ja in die geöffnete Schnabelhöhle möglichst leicht
die Jnsellen hineinspazieren.