1873 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 17
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule, Simultanschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten, Simultanschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Konfession (WdK): Konfessionell gemischt
200
12. Roland der Schildträger.
Der König Karl saß einst zu Tisch
Zu Aachen mit den Fürsten,
Man stellte Wildpret auf und Fisch
Und ließ auch keinen dürsten.
Viel Goldgeschirr von klarem Schein,
Manch rothen, grünen Edelstein
Sah man im Saale leuchten.
E Da sprach Herr Karl, der starke Held:
„Was soll der eitle Schimmer?
Das beste Kleinod dieser Welt,
Das fehlet uns noch immer.
Dies Kleinod, hell wie Sonnenschein,
Ein Riese träglls im Schilde.sein,
Tief im Ardennenwalde."
Graf Richard, Erzbischof Turpin,
Herr Heimon, Naims von Baiern,
Milon von Anglant, Gras Garin,
Die wollten da nicht feiern.
Sie haben Stahlgewand begehrt
Und hießen satteln ihre Pferd',
Zu reiten nach dem Riesen.
Jung Roland, Sohn des Milon,
sprach:
„Lieb Vater! hört, ich bittei
Vermeint ihr mich zu jung und schwach,
Daß ich mit Niesen stritte,
Doch bin ich nicht zu winzig mehr,
Euch nachzutragen euren Speer
Sammt eurem guten Schilde.
Die sechs Genoffen ritten bald
Vereint nach den Ardennen,
Doch als sie kamen in den Wald,
Da thäten sie sich trennen.
Roland ritt hinterm Vater her;
Wie wohl ihm war, des Helden Speer,
Des Helden Schild zu tragen!
Bet Sonnenschein und Mondenlicht
Streiften die kühnen Degen;
Doch fanden sie den Riesen nicht
In Felsen und Gehegen.
Zur Mittagsstund' am vierten Tag
Der Herzog Milon schlafen lag
In einer Eiche Schatten.
Roland sah in der Ferne bald
Ein Blitzen und ein Leuchten,
Davon die Strahlen in dem Wald
Die Hirsch' und Reh' aufscheuchten;
Er sah, es kam von einein Schild,
Den trug ein Riese, groß und wild,
Vom Berge niedersteigend.
Roland gedacht' im Herzen sein:
,Was ist das für ein Schrecken!
Soll ich den lieben Vater mein
Im besten Schlaf erwecken?
Es wachet ja sein gutes Pferd,
Es wacht sein Speer, sein Schild und
Schwert,
Es wacht Roland der Junge."
Roland das Schwert zur Seite band,
Herrn Milons starke Waffen,
Die Lanze nahm er in die Hand
Und that den Schild aufraffen.
Herrn Milons Roß bestieg er dann
Und ritt ganz sachte durch den Tann,
Den Vater nicht zu wecken.
Und als er kam zur Felsenwand,
Da sprach der Ries' mit Lachen:
„Was will doch dieser kleine Fant
Auf solchem Rosse machen?
Sein Schwert ist zwier so lang als er,
Vom Rosse zieht ihn schier der Speer,
Der Schild will ihn erdrücken."
Jung Roland rief: „Wohlauf zum Streit!
Dich reuet noch dein Necken,
Hab' ich die T arische lang und breit,
Kann sie mich besser decken;
Ein kleiner Mann, ein großes Pferd,
Ein kurzer Arm, ein langes Schwert,
Muß eins dem andern helfen.
Der Niese mit der Stange schlug
Auslangend in die Weite,
Jung Roland schwenkte schnell genug
Sein Roß noch auf die Seite.
Die Lanz' er auf den Niesen schwang,
Doch von dem Wunderschilde sprang
Auf Roland sie zurücke.
Jung Roland nahm in großer Hast
Das Schwert in beide Hände,
Der Riese nach dem seinen faßt,
Er war zu unbehende,
Mit flinkem Hiebe schlug Roland
Ihm unterm Schild die linke Hand,
Daß Hand und Schild entrollten.
Dem Niesen schwand der Muth dahin,
Wie ihm der Schild entrissen,
Das Kleinod, das ihm Kraft verlieh»,
Mußt' er mit Schmerzen missen.
Zwar lief er gleich dem Schilde nach,
Doch Roland in das Knie ihn stach,
Daß er zu Boden stürzte.
Roland ihn bei den Haaren griff,
Hieb ihm das Haupt herunter,
Ein großer Strom von Blute lief
Ins tiefe Thal herunter;