1873 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Haesters, Albert
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 17
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule, Simultanschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten, Simultanschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Konfession (WdK): Konfessionell gemischt
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Ansicht vom Ablaß hatten. Der gemeine Mann hielt den eingelösten
Ablaßzettel für einen Nachlaß der Sündenschuld selbst, ohne an die
von der Kirche vorgeschriebene Buße und Besserung zu denken. Die
Ablaßprediger versäumten oft die Pflicht, diesen verderblichen Wahn zu
bestreiten und das Volk über das Wesen des Ablasses und die Art
und Weise, ihn zu gewinnen, zu belehren.
Die meisten Vorwürfe werden in dieser Hinsicht dem Dominikaner-
mönch Johann Tetzel aus Leipzig gemacht. Der damalige Pabst,
Leo X., schrieb im Jahre 1517 einen Ablaß aus und bestimmte die dabei
einkommenden fteiwilligen Gaben zur Vollendung des Baues der pracht-
vollen Peterskirche in Rom. Die Verkündigung dieses Ablasses in
Deutschland trug er dem Erzbischöfe von Mainz, Albrecht von Bran-
denburg auf. Dieser bestimmte hierzu den Dominikanerorden.
Der vorgenannte Dominikanermönch, Johann Tetzel, erhielt den
Auftrag, den Ablaß in Sachsen zu verkündigen. Er that dies aber
in einer Weise, welche bei vielen großen Unwillen erregte. Da
schlug der Augustinermönch vr. Martin Luther am 31. Oktober
1517 fünf und neunzig Sätze, die sich hauptsächlich auf den Ablaß
bezogen, an die Schloßkirche zu Wittenberg, indem er alle Gelehrten
aufforderte, dieselben zu prüfen. Das gab die Veranlassung zur
Kirchentrennung — zur Reformation. — Tetzel und mit ihm
mehrere seines Ordens wurden über die Kühnheit des Augustiner-
mönchs höchst entrüstet. In Predigten und Schriften kämpften sie gegen
die Sätze, schalten den Verfasser einen Abtrünnigen und behaupte-
ten, daß er damit das Ansehen des Papstes und der Kirche angreife.
Diese Ausfälle reizten Luther zu einer heftigen Vertheidigung, bei
welcher ihn seine Ordensbrüder, die Augustiner, eifrig unterstützten.
Nun traten beide Theile feindselig gegen einander auf, verloren aber
im hitzigen Kampfe der Meinungen nur zu oft die Ruhe des Urtheils
sowohl, als auch des Gemüths. Hatte Luther anfangs, wie schon viele
vor ihm, nur gegen die Mißbräuche des Ablasses geeifert, so verwarf
er bald auch den Ablaß selbst. Und weil ihm seine Gegner das An-
sehen des Papstes, als des sichtbaren Oberhauptes der christlichen Kirche,
unablässig entgegenstellten, so läugnete er auch dieses und trennte sich
so nach und nach in mehreren Stücken von den Lehren und Satzungen
der katholischen Kirche.
Der Papst achtete zuerst wenig auf den Streit, den er für eine
bloße Zänkerei der Mönche hielt. Was aber anfangs nur Sache der
Gelehrten gewesen war, wurde bald Sache des Volkes. Es wurde
viel geredet und geschrieben, viel hin und her disputirt und immer mehr
Öl ins Feuer gegossen. Endlich kam eine päpstliche Verordnung oder
Bulle, welche eine Anzahl Sätze aus Luthers Schriften als Irrthümer
bezeichnete und den Urheber mit dem Banne bedrohte, wenn er nicht
binnen zwei Monaten widerriefe. Luther aber verbrannte die päpstliche
Bannbulle und das Kirchenrecht vor den Thoren Wittenbergs.
Unterdessen war der deutsche Kaiser, Maximilian I., gestorben (1519),