1902 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, E. von
- Hrsg.: Tromnau, Adolf
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Regionen (OPAC): Posen
4. Wirtschaftliche Verhältnisse.
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In den ersten Jahren ihrer Tätigkeit pflegte die Ansiedlungskommission
die erworbenen Güter sogleich in Bauerngrundstücke auseinanderzulegen und
zu besiedeln. Da aber die Güter meistens sehr heruntergekommen und wirt-
schaftlich sehr ausgesogen waren, so daß die Ansiedler nicht gut vorwärts
kommen konnten, kam man darauf, für die Güter erst eine Übergangszeit
mit großwirtschaftlichem Betriebe zu schaffen, um sie zu heben und für
die Ansiedlungswirtschaft geeigneter zu machen. Daher beträgt die bisherige
Besiedlungsfläche nur 140 624 1m oder 85% des gesamten Grundareals der
Ansiedlungskommission, wovon 90590 auf die Provinz Posen entfallen.
Die Zahl der „planmäßig ausgelegten Ansiedlerstellen unter Berücksichtigung
der beim Begebungsgeschäft erfolgten Stellenznsammenlegungen und Teilungen"
betrug Ende 1901 6309 mit einer Bodenflüche von 104 847 ha. Dazu
kamen 1519 unbegebene Stellen mit 26 561 da Bodenfläche.
Vollständig fertig besiedelt waren am Schluß des Jahres 1901 4695
Ansiedlungsstellen mit 76 600 1m. Von den 4695 Ansiedlerfamilien waren
37 °/0 aus Posen und Westpreußen und 63 % aus anderen Landesteilen,
darunter auch russische und österreichische deutsche Einwandrer. Von den
deutschen Ländern sind vertreten Westfalen, Sachsen, Hannover, Branden-
burg, Pommern, Schlesien, Rheinland, Ostpreußen, Hessen-Nassau, Württem-
berg, Baden, Schleswig-Holstein u. a. m. Der Konfession nach sind 4439
Ansiedler evangelisch, 256 katholisch. — Die Gesamtausgaben der Ansiedlnngs-
kommission seit ihrem Bestehen betrugen am 31. März 1902 158 048 604 Mk.,
die Einnahmen 33442 465 Mk.
Zur Verbesserung der Bodenkultur unternimmt die Ansiedlnngskommission
Meliorationen in großem Umfange. Dazu gehören Drainagen, Moorknlturen,
Wiesenmeliorationen, Wegebauten. Ferner sind Brennereigenossenschaften,
Molkereien, Abzahlungsgeschäfte für Rindviehzucht, Darlehnskassenvereine, ge-
nossenschaftliche Kaufhäuser (Janowitz, Witkowo, Wreschen) n. a. m. eingerichtet.
Den Kaufpreis für junge Obstbäume zur Wegebepflanzung und für die Gärten
der Pachtstellen zahlt die Regierung ganz, von den Kosten, die zur Beschaffung
sonstiger Bäume für Gärten nuf den Ansiedlungsstellen nötig sind, trägt sie %.
Zur Hebung der Obstkultur und des Gemüsebaues in den Ansiedlungen ist
eine Mustergartenanlage in Janowitz, Kreis Znin, dem Mittelpunkt eines
großen geschlossenen Ansiedlungsgebietes von 14000 Im unter Anstellung
eines Lehrgärtners eingerichtet, der rationellen Obstbaumschnitt lehren und
praktische Kurse für Gartenkultur abhalten soll. Eine landwirtschaftliche
Winterschule (1899) in Janowitz dient zur Förderung des Ackerbaues. Auch
Ziegeleien sind auf fiskalische Rechnung angelegt, die Mauersteine, Dachsteine
und Drainröhren liefern.
An Hochbauten hatte die Ansiedlungskommission bis Ende 1901 errichtet
21 Kirchen, 14 Bethäuser, 18 Pfarreigehöfte, 1 Organistengehöft, 135 Schulen,
1 Gartenbauschille und 118 Gebäude für Gemeindehäuser (Armenhäuser,
Spritzenschuppen und Gemeindehäuser). Endlich ist das im September 1899
vollendete Waisenhaus auf dem Ansiedlungsgute Neuzedlitz bei Mieltschin,
Kreis Witkowo, zu erwähnen. Die Waisenanstalt nimmt anhangslose deutsche,
evangelische Waisen aus deutschen Großstädten des Westens auf, um sie zu
erziehen und zur Stärkung des Deutschtums und der evangelischen Kirche in
den national und kirchlich gefährdeten Bezirken der Provinz Posen später als