1882 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: ,
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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in seinem Handwerke wirklich geschickte H. fühlt sich durch diesen Mangel an
Zutrauen tief gekränkt, versichert, er wolle den Fremden wohl zufrieden stellen;
und dieser, den etwas in der Miene des H. Liegendes oder sonst ein anderer
Grund nachgiebig macht, giebt ihm das Tuch mit der Äußerung, nun, er wolle
das Tuch nur einmal an eine sehr wahrscheinlich mißlingende Arbeit wagen.
Diese giebt dem armen, vor Hunger sehr müden H. Kraft, die ganze
Nacht hindurch zu arbeiten. Er sitzt ja bei dem Bette seiner lieben Frau
und seines kranken Kindes, die er morgen beide wird erquicken können.
Wenn die Kräfte nicht mehr aushalten, wenn die Augenlider zusammensinken
wollen, sieht er die beiden Schlafenden an. Die matte Hand erhält Kraft,
wenn er sie ans die kranke heiße Hand seiner lieben Frau oder auf die heute
recht bleich aussehende Wange des Kindes legt. So ist gegen Morgen die
Kleidung fertig.
Er trägt sie zur bestimmten Stunde dem Fremden hin, und dieser findet
sie so vollkommen nach feinem Wunsche, daß er dem armen Schneider mehr
giebt, als gewöhnlich, und da er die Freudenthränen sieht auf der bleichen
Wange, noch mehr. Der Arme geht und erquickt sich und die Seinen.
Aber sein gestriges Abendgebet aus dem geängstigten und zerschlagenen
Herzen war auf eine Weise erhört worden, wie er sich es heute, so sehr auch
seine Seele voll Freude und Hoffnung, sein Mund voll Dankes war, nicht
träumen lassen konnte. Der Fremde blieb jenen Tag noch in Altenburg und
fand in einer vornehmen Gesellschaft Gelegenheit, den armen Schneider als
einen in seinem Handwerke ganz vorzüglich geschickten Meister zu empfehlen.
Einige der Anwesenden merkten sich Wohnung und Namen; und von nun an
fand H. so viele Arbeit, daß er sich nie mehr mit den Seinen hungrig schlafen
legen durfte und später sein Auskommen sehr gut hatte.
Wenn die Not am größten ist, ist die Hilfe am nächsten. — Je größer
die Not, je näher Gott. — Bete, als wenn kein Arbeiten Hilfe; arbeite, als
wenn kein Beten Hilfe. — Not lehrt beten; Arbeit lehrt, wie man gegen Not
sich wehrt. — Wer fröhliche Nacht sucht, verliert guten Tag.
29. Wäi'terinuhr.
1. Der Mond, der scheint,
Das Kindlein weint.
Die Glock’ schlägt zwölf.
Dass Gott doch allen Kran-
ken helf !
3. Die Sternlein schön
Am Himmel geh’n;
Die Glock’ schlägt zwei,
Sie geh’n hinunter nach der
Keils.
2. Gott alles weiss,
Das Mänslein heiss,
Die Glock’ schlägt ein;
Der Traum spielt auf dem
Kissen dein.
4. Der Wind, der weht,
Der Hahn, der kräht.
Die Glock’ schlägt drei,
Der Fuhrmann hebt sich von
der Streu.