1913 -
Berlin
: Oehmigke
- Autor: Nohl, Walther
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Brandenburg
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde, Geographie, Brandenburg
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leute gekommen, die Borsig mit spöttischer Freundlichkeit be-
grüßten. — Doch, diese kaum beachtend, schritt er dem Maschinen-
schuppen zu und bestieg dortdenseinerschonmitfeurigem Schnauben
harrenden Eisenrenner. Mit stolzer Sicherheit bewegte sich das
erste deutsche Dampfroß vorwärts. Von seinem Erbauer selbst
gelenkt, brauste es an dem Bahnsteig vorüber eine Strecke die Bahn
entlang, dann in schnellem Laufe zurück, und auf einen Wink
stand es unter der Halle still. Stürmischer Beifall empfing Borsig
und seinen „Borsig". Die Engländer machten lange Gesichter,
als der Führer ihnen zurief: „Sehen Sie, meine Herren, sie
geht! Sie ist also in Wahrheit eine Lokomotive!"
Nun wurde ein offener Wagen angehängt; die Herren stiegen
ein, und auf einer Fahrt nach Großbeeren führte Borsig sein
Eisenroß in allen Gangarten noch einmal vor, wobei es sich
vollkommen bewährte. Das Richterkollegium sprach sich ein-
stimmig dahin aus, daß die Borsigsche Lokomotive als durchaus
gelungen zu bezeichnen sei.
Borsig, der diesen Tag zu den schönsten seines Lebens zählte,
schloß darauf mit der Direktion einen Vertrag ab, wonach sie sich
verpflichtete, ferner alle aus seiner Maschinenbauanstalt hervor-
gehenden Lokomotiven auf der Anhalter Bahn zu verwenden. —
So wurde Borsig durch diese Tat, die unsere heimische Eisen-
industrie von der Herrschaft Englands befreite, der deutsche Ste-
phenson, der nun unter entsprechender Erweiterung seiner Fabrik
seine Haupttätigkeit fortan auf den Bau von Lokomotiven ver-
legte.
Schon im Jahre 1846 verließ die hundertste, und zwei Jahre
später die zweihundertste Maschine die Borsigsche Fabrik.
Immer größer wurde ihre Zahl, und immer weiter dehnten
sich die Räume der Anstalt. Borsig blieb nicht dabei stehen, den
deutschen Eisenbahnen deutsche Lokomotiven zu liefern. Hatte
er bisher Kohlen und Schmiedeeisen aus England beziehen müssen,
so suchte er sich jetzt auch davon frei zu machen, indem er in Moabit
ein großartiges Eisenwerk anlegte, wo deutsches Roheisen zu künst-
lichen Fabrikaten, wie er sie für seine Anstalt gebrauchte, verarbeitet
werden sollte. In Königshütte und Ruda in Schlesien erwarb
er Steinkohlenwerke, die ihm inländisches Brennmaterial lieferten,
so daß fortan kein fremdländischer Stoff für deutsches Geld von
ihm erworben und verwendet zu werden brauchte. —