1912 -
Danzig
: Kasemann
- Autor: ,
- Hrsg.: Gehrke, Paul, Schwandt, Wilhelm, Preuß, H., Hecker, Robert
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Seminar, Präparandanstalt, Mittelschule, Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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werten, in denen der Orden herrschte, kämpfte und seinem Ringen den Fluch
des Unheils beschieden sah.
Eben in der Eigenart des Ordens lagen aber auch Momente seines
Niedergangs. In ihm selbst klaffte der Widerspruch zwischen geistlichem
und weltlichem Wesen, den er nicht überbrücken konnte, nur daß er im
mühsamen langen Prozeß innerer Umbildung den irdischen Interessen mehr
und mehr Einfluß und Vorherrschaft einräumte, nicht aber jener religiösen
Begeisterung treu blieb, die ihn in den Zeiten der Kreuzzüge hatte erstehen
lassen. Die Bischöfe Preußens sahen in ihm den weltlichen Gebieter, der
mit kirchlichen Gerechtsamen ausgestattet war, nicht eine Genossenschaft, die
wie sie selbst im Wesen der Kirche als geistiger, rechtlich geordneter Lebens-
macht ihren Ursprung hatte. Der Adel Preußens, durch den Orden ins
Land gezogen und mit Besitz loie Vorrechten aller Art ausgerüstet, empfand
allein den Druck der Landesherrschaft und ihrer Anforderungen in Krieg
und Frieden. Aus seinen Reihen stieg kein Mitglied empor zu den einfluß-
reichen Ämtern, am wenigsten zu denen der großen Gebietiger oder gar zur
fürstlichen Würde des Hochmeisters, da sie den Oberdeutschen aus Franken,
Schwaben und Bayern übertragen zu werden pflegten. Seine Söhne waren
unter den Rittern und geistlichen Brüdern kaum mehr als geduldet, unter
Einwanderern also, die keinerlei Bande des Blutes oder der Verwandtschaft
mit den Bewohnern ihres Gebietes innerlich verknüpft hätte. Dem Adel —
und ebenso dem Patriziat der Städte — fehlte die Möglichkeit einer Anteil-
nahme am Regiment, an der Politik des Staates, dessen Inhaber erst seit
Ansgang des vierzehnten Jahrhunderts zögernd zur Einberufung ständischer
Versammlungen sich entschloß. Wie viel besser doch hatte es der Adel im
benachbarten Polen, wo seine Vorrechte durch das Wahlkönigtum Ludwigs
des Großen und des ersten Jagiellonen gefestigt worden waren. Während
der Adel ver Neumark dies Land mit verderblicher Unruhe erfüllte, zum
König von Polen neigte und trotzig dem Gebote des strengen und durch-
greifenden Landesherrn widerstrebte, der anders zu befehlen verstand als
der Luxemburger, zeigten sich, nicht zufällig zuerst im Kulmer Lande, die
Spuren der „Eidechsengesellschaft". Noch mochte der Hochmeister Konrad
von Jungingen (f 1407) diesen Bund des Adels als harmlos auffassen —
erst in späterer Zeit wurde er gefährlich —, bezeichnend genug aber war
es gerade der Bannerführer des Kulmischen Adels, Nickel von Renys, der
im Augenblick höchster Not bei Tannenberg an seinem Herrn zum Verräter
wurde. Zu allem hinzu kam der Gegensatz der städtischen Interessen zu
denen des Ordens. Gewiß, er hatte auch ihnen Schutz und Förderung an-
gedeihen lassen Noch unmittelbar vor der Katastrophe hatte er ihnen ge-
holfen mit Darlehen, mit Verzicht auf Abgaben, zu ihren bürgerlichen Festen
erkleckliche Summen beigesteuert. Ihre Wege jedoch begannen von dem
Augenblick an sich zu trennen, da der Orden in bald größer werdendem
Umfang zum Eigenhandel überging, da seine Beamten im Lande selbst Ge-
treide ankauften, um es ins Ausland auszuführen und von dort Waren
zurückzubringen. Die Beteiligung der Landesgewalt am Handel und Geld-
geschäft weckte den Neid der Städter, deren zartbesaitete Moral an den
Darlehnsunternehmungen Anstoß nahm; konnten sie doch darauf verweisen,
daß gerade von ihnen, den Söhnen der Kirche, das kirchliche Verbot des
Zinsgewinns häufig übertreten wurde. An handelspolitische Maßnahmen
Heimatkunde, Ii. Teil. 97