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1. Heimatkundliches Lesebuch - S. 468

1912 - Danzig : Kasemann
468 Marktes mit Teppichen zu behängen und überhaupt die Dekoration mit Fahnen und Laubgewinden auf dieser Strecke in mäßigen Schranken gehalten, so daß die wunderbare Architektur, welche diese Triumphstraße zwar nicht zur großartigsten, wohl aber zu einer der schönsten in allen deutschen Städten macht, ihre volle Wirkung tun konnte. Der Lange Markt ist die rechts und links stark verbreiterte Fortsetzung der Langgasse. Auf der Grenze zwischen beiden, und zwar mit der Front noch in der linksseitigen Häuserreihe der Langgasse, mit seinem seingegliederten Giebel dagegen am Langen Markte steht das Rathaus, dessen schlanker, in bewegten Linien hochaufstrebender Turm, von weitem gesehen, zu dem stumpfen und massiven, nur durch einen schmalen Straßenblock von ihm getrennten Turm der Marienkirche einen reizenden Gegensatz bildet. Dies also, die Langgasse und der Lange Markt, war der mittelste und schönste Teil des Straßenzuges, der, von Menschen erfüllt, die Beischläge, Fenster und Dächer dicht besetzt, von dem Wagen des Kaisers unter dem brausenden Jubel des Volkes in langsamem Trabe durch- messen wurde. Nur eine kurze Ruhe vergönnte sich der Kaiser; dann begab er sich nach Neufahrwasser zur Besichtigung der dort auf der Reede versammelten Flotte. Um ihm Gelegenheit zu geben, die Nordwestseite von Danzig zu sehen, die mit ihren gewaltigen Wällen und den diese überragenden zahl- reichen Turmspitzen einen ebenso originellen als malerischen Anblick gewährte, hatte man am Olivaertor einen Pavillon aufgeführt, bis wohin die Fahrt zu Wagen gemacht wurde. Hier erwartete den Kaiser ein Eisenbahnzug, der ihn in wenig Minuten zu der im Hafen von Neufahrwasser liegenden „Grille" brachte. Alsbald bestieg er mit seinen Gästen und einem zahlreichen Gefolge das Schiff, um der Flotte entgegenzufahren. Die Besichtigung, bei der es an Zuschauern nicht fehlte, die sich auf allen verfügbaren Danziger Privat- dampfern zahlreich eingefunden hatten, verlies aufs beste. Zu Nachmittag 5 Uhr hatte der Provinziallandtag im Verein mit der Stadt in dem am Langen Markt gelegenen Artushof ein Festmahl ver- anstaltet. Noch hatte die Turmuhr des Rathauses den fünften Schlag nicht getan, als schon der erst dumpf von ferne, dann immer heller und lauter ertönende Zuruf des Volkes das Herannahen des Kaisers verkündete. Ich hatte, umgeben von Vertretern der Provinz und der Stadt, die Ehre, ihn vor dem Artushose zu empfangen und die Stufen der Freitreppe hinauf zu geleiten. Oben angekommen, machte er kehrt — so darf ich von dem großen Soldatenkaiser wohl schreiben — und sah nun in die freudig erregten Ge- sichter von Tausenden, die dem geliebten Oberhaupte der Nation in laut- schallenden Jubelrufen ihre Huldigung entgegenbrachten. Es war dasselbe Bild wie am Vormittag, aber einheitlicher, zusammengefaßter und darum ergreifender. Auch der Kaiser, der nach allen Seiten dankend grüßte, war ergriffen, und sagte mir sehr gnädige Worte. Ich darf die zwei Minuten ans der Freitreppe des Artushofes für den Höhe- und Glanzpunkt meiner amtlichen Laufbahn halten. Wohl habe ich einen größeren Tag erlebt, den der Kaiserproklamation in Versailles, mit der an geschichtlicher Bedeutung die Szene auf dem Langen Markte sich natürlich nicht messen konnte: dafür feierten wir aber hier ein Familienfest der Provinz, und zwar der Provinz, die der Kaiser meiner Sorge anvertraut hatte und die ich ihm gleichsam im Bilde vorführen durfte.
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