1882 -
Leipzig
: Klinkhardt
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Weber, Hugo
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Vier- bis sechsklassige Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltkunde
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Römern an Macht weit nachstanden, so wäre doch vielleicht ihr wilder
Eifer und ihr Religionshass gegen die verachteten Heiden imstande
gewesen, das Fehlende zu ersetzen. Allein ein zweiter Übelstand
musste immer fühlbarer werden. Zu einem siegreichen Widerstand
hätte das Volk eines obersten Anführers, eines von allen anerkannten
Messias, bedurft; dieser aber fehlte und konnte gar nicht kommen.
Mehrere warfen sich zu Führern auf, von denen jeder sich selbst fin-
den Messias ausgab, dagegen von den anderen wieder verworfen wurde.
So lähmte die innere Zwietracht, die öfters in offene Feindseligkeit aus-
brach, den Widerstand der Juden gegen die ohnehin übermächtigen
Römer.
Vespasian wandte sich zuerst nach Galiläa, wo der jüdische Ge-
schichtschreiber Josephus die Heeresmacht gegen die Römer befehligte.
Hier eroberte er die festen Städte und Flecken, wobei schon über
40000 Juden um das Leben kamen und Josephus selbst gefangen wurde.
Unterdessen hatte Kaiser Nero ein Ende mit Schrecken gefunden, und
das römische Heer in Syrien rief seinen Feldherrn Vespasian zum
Kaiser aus. Dieser ging nach Rom, um sich die Krone zu sichern,
und überliess seinem Sohne Titus die Fortsetzung des jüdischen Krieges.
Durch die Einnahme der Hauptstadt sollte dieser geendigt werden.
Als Titus vor dieselbe rückte, hatte das Werk der Zwietracht in
ihrem Jnnern bereits begonnen. Den Reichen und Vornehmen wurde
bange für ihren Reichtum und ihr gemächliches Leben; sie wünschten
daher dem Kriege durch zeitige Unterwerfung ein Ende zu machen und
die Zerstörung der Stadt abzuwenden. Dadurch wurden aber die Eiferer
um das Gesetz, welche die Übermacht in der Stadt hatten, nur desto
mehr aufgebracht, so dass sie über die Häupter der friedliebenden
Partei herfielen und eine grosse Anzahl derselben, darunter auch die Hohen-
priester, ermordeten. Aber auch diejenigen, welche in dem Entschluss,
den Widerstand bis aufs äusserste fortzusetzen, übereinstimmten, waren
unter sich in mehrere Parteien geteilt, und öfters, wenn die Feinde von
aussen unthätig waren, brach der Parteihass im Innern der Stadt in
offenen Bürgerkrieg aus. Tag und Nacht währte das Geschrei und
Toben der Kämpfenden, und in der heillosen Verwirrung verbrannte
eine solche Menge Getreide in der Stadt, dass dadurch hauptsächlich die
später entstandene, entsetzliche Hungersnot veranlasst wurde.
Es war gerade Osterzeit des Jahres 70 nach Chr. Geburt, und des
Festes wegen war eine Menge fremder Juden in Jerusalem zusammen-
geströmt. Josephus schätzt die ganze Zahl der Anwesenden auf fast
3000000. Diese Flut von Menschen wurde durch das anrückende
Heer in den engen Raum der Stadt zusammengedrängt, und als infolge
der inneren Unordnung und des Aufruhrs Mord und Brand die belagerte
Stadt heimsuchte, da musste bald unter jener Masse von Menschen die
schrecklichste Hungersnot einreifsen.
Der beispiellose Kampf dauerte vom 12. Mai bis zum 11. September.
Am fünfzehnten Tage der Belagerung war es den Römern gelungen, die