1913 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Kutsche, E., Koenig, W., Urbanek, Rudolf
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1895
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
- Geschlecht (WdK): Mädchen
appetitlich und in manchen andern Gewerben störend. Sie
schließen aber geradezu aus von der Buchbinderei, Weißnäherei,
Putz-, Spitzen- und Rüschenherstellung.
Auch auf die Neigung ist Rücksicht zu nehmen. Wenn
sich ein Kind nur aus äußern Gründen einem bestimmten
Berufe zuwenden will, etwa einer Freundin zuliebe, oder weil
es bei dessen Ausübung schön angezogen sein kann u. dgl., dann
braucht man sich nicht an die Neigung zu kehren. Wohl aber soll
der Neigung nachgegeben werden, wenn sie deutlich hervortritt.
Geschickte Hände, verbunden mit Schönheitssinn, sind die besten
Vorbedingungen für den Beruf als Schneiderin und Putzmacherin.
Auffallendes Zeichentalent weist auf kunstgewerbliche Ausbildung
hin. Tüchtigkeit in Deutsch und Rechnen befähigt für die
Kontorlaufbahn.
Freilich sind der Neigung durch die Geldmittel oft feste
Schranken gesetzt. Diese lassen manchmal die erforderliche kost-
spielige Ausbildung nicht zu. Das soll das Mädchen nicht mut-
los machen. Wer mit reichen geistigen Mitteln einen unter-
geordneten Beruf ergreifen muß. kann sich darin bald hervortun
und seine Mitbewerber überflügeln. Dabei kommt man weiter
und wird glücklicher als in einem höhern Berufe, zu dessen Aus-
übung die Verstandeskräfte nur knapp zureichen. Die Ein-
schätzung der Berufe nach der Vornehmheit ist zudem recht hin-
fällig. Eine geschickte Putzmacherin oder Schneiderin ist stets ge-
sucht und angesehen und wird auch gut bezahlt. Nicht auf den
Beruf an und für sich kommt es an. sondern auf die Tüchtigkeit,
mit der jemand seinen Beruf ausübt!
Vor falscher Bewertung einzelner Berufe sei gewarnt!
Manche Tätigkeit erscheint deshalb verlockend, weil sie bald
baren Lohn einträgt; deshalb werden viele Mädchen Fabrik-
arbeiterinnen, andre Laufmädchen. Der Wochenlohn reicht kaum
für nahrhafte Kost, geschweige denn für Kleider. Schuhe. Wohnung
u. dgl., aber die baren Mark blenden Eltern und Kind. Wie
steht es nun mit dem Vorwärtskommen? Wenn das Lauf-
mädchen mit dem niedrigen Lohne nicht mehr zufrieden ist, kann
es gehen. Die Fabrikarbeiterin kann bei Akkordarbeit ihren
Lohn nur dadurch steigern, daß sie geschickter wird und mehr
Arbeit liefert. Die Heimarbeiterin muß die halbe Nacht zu Hilfe
nehmen, um einen ausreichenden Verdienst zu erzielen.
Manches Mädchen mit gesunden Gliedern führt ein Faulenzer-
leben in der Zeitungs- oder in der Selterhalle. Es leistet keine
eigentliche Arbeit, lernt nichts und hat natürlich auch keinerlei
Aussichten auf ein Vorwärtskommen. Und lernen die Heim-
arbeiterinnen etwa viel. wenn die eine Tag für Tag Knöpfe
annäht, die andre Heftfäden entfernt, eine dritte Westenrücken
einnäht? Hastige Arbeit zwar. aber es ist kein Fortschritt im
Können und deshalb auch kein nennenswertes Aufrücken des
Lohnes.