1913 -
Wittenberg
: Herrosé
- Autor: Kutsche, E., Koenig, W., Urbanek, Rudolf
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1895
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Haushaltsregeln
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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Ding der Unmöglichkeit gewesen. Sprache, Sitten und Lebens-
gewohnheiten stehen sich hier durchaus gegenüber. So der Ver-
lauf eines gewöhnlichen Tages. Sehr, sehr oft wird er durch
mannigfaltige Vergnügungen und Geselligkeit unterbrochen. Es
gehören dazu die in ganz Ostasien ungemein beliebten Picknicks.
Jeder Haushalt stellt dazu, was ihm beliebt, und als Be-
förderungsmittel für die Teilnehmer wird gewöhnlich der leichte,
offene, von vier Chinesen an langen Bambusstangen getragene,
aus Bambus geflochtene Stuhl benutzt. Gewöhnlich ist das Ziel
irgendein nahegelegener Tempel, die stets in ihrer Umgebung
schattige Haine oder Bambusgebüsche aufweisen, in denen die
mannigfaltigsten Spiele geübt werden. In Schanghai haben die
Damen einen eignen Klub gegründet, der ein prachtvolles Ge-
bäude mitten in einer bedeutenden Eartenanlage zeigt, und in
dem Herren nur auf besondre Einladung zu Spielen oder zur
Unterhaltung Zutritt haben. Neben der Geselligkeit ist es der
Wohltätigkeitssinn, der in hervorragendem Matze den gegen-
seitigen Verkehr, die Annäherung und die Freundschaft befördert.
Es gibt keine Dame im Osten, die nicht irgendeinem wohltätigen
Vereine angehörte.
Die erste große Schwierigkeit im Leben der Fremden ergibt
sich in der Kindererziehung. Für den jungen Weltbürger wird
eine chinesische Wärterin, eine sogenannte Ahmah, angenommen.
Die ersten Sprachversuche bringen neue Schwierigkeiten, denn
naturgemäß lernt der kleine Europäer neben seiner Mutter-
sprache, und oft noch schneller als diese, den chinesischen Dialekt
der Gegend, in der er gerade das Licht der Welt erblickt. Mit
dem fünften Jahre etwa ist das Kind der alleinigen Obhut der
Ahmah entwachsen, es erhält einen der Boys des Hauses zum
ständigen Begleiter, ahmt die Bewegungsspiele der Erwachsenen
nach oder unternimmt auf seinem kleinen schottischen Pony, be-
gleitet von einem chinesischen Reitknecht, kleine Ausflüge in der
Nähe des elterlichen Hauses. In diesem Lebensalter mutz auch
die elterliche Erziehung besonders sorgfältig darauf sehen, daß
sich nicht, wie dies leider vielfach der Fall ist, bereits bei dem
Kinde eine vollkommene Verachtung der chinesischen Bevölkerung
herausbildet. Ein Verkehr mit chinesischen Kindern ist auch hier
fast ganz ausgeschlossen. Noch einige Jahre später — sofern die
Familie überhaupt solange im Osten bleibt — verlangt die
geistige Ausbildung gebieterisch die Trennung vom Elternhause.
Die geselligen Äußerungen in Theatern und Konzerten sind
der wundeste Punkt des ganzen Aufenthalts in China. Höchst
selten geschieht es, daß irgendeine kunstreisende französische
Operettengesellschaft in dem Saale irgendeines Hotels die alten
Offenbachiaden kläglich aufführt; meistens ist der Europäer auf
sich selbst angewiesen. Hin und wieder erscheint wenigstens an
den Haupthäfen kometenartig ein Virtuose, meist aber hilft auch
hier die Liebenswürdigkeit musikbegabter Damen. Der Hoch-