1910 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Schreiber, B., Polack, Friedrich, Krämer, J. B., Rockstroh, J., Stier, K., ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Ländliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
Xl Die Gemeinde und ihre Pflichten, die Genossenschaft und ihr Segen. 311
werke gehörig zu beladen, vervielfältigte die Fahrten und veranlaßte
viel Zeitverlust; oft kamen Rad- und Wagenbrüche vor. Mit dem
Winter wurden die meisten Wege ganz unfahrbar, und da kein Fuhr-
werk mehr aufs Feld ging, so hörten auch die Arbeiten im Dorfe
auf, was die Folge hatte, daß die Einwohner den größten Teil des
Tages in den Schenken zubrachten. Aber auch die Stadt wurde alle
Wochen besucht von Mann und Frau, sowie man auch allen Märkten
der umliegenden Dörfer auf vier oder fünf Sturrden im Umkreise nachlief.
In den Kneipen, auf den Messen und Märkten, bei allen Volks-
versammlungen zeichneten sich die Schönfelder durch grobe Reden und
Streitsucht aus, und es kam nicht selten zu Schlägereien. Bei ihrem
zänkischen und streitsüchtigen Wesen vermied man cs auch sonst,
sich mit ihnen einzulassen. Einige Bürger der Stadt wären gern ge-
neigt gewesen, das Gefäll des obenerwähnten Baches nutzbar zu
machen; aber sie scheuten sich, mit so ungeselligen Nachbarn in Ver-
handlung zu treten.
Dies war der Zustand der Gemeinde, als der Doktor es unter-
nahm, denselben zu verbessern.
Ehe er sein großes Vorhaben in Angriff nahm, berechnete er
alle Folgen. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß, wenn es ihm ge-
lang, vernünftigeren Ansichten in der Gemeinde Bahn zu brechen,
auch der Geist und die Sitten sich ändern würden. Aber er war sich
auch wohl bewußt, mit welchen Schwierigkeiten er würde zu kämpfen
haben, welche Hindernisse ihm Vorurteil, Trägheit, Eifersucht, Ver-
leumdung bereiten, und wie er'für eine Zeitlang seine Ruhe und
seinen Frieden opfern müsse. Dieser Kampf schreckte aber den für
seine Idee begeisterten Mann nicht zurück. Komme ich nicht ans Ziel,
dachte er, so erreichen es andere nach mir. Übrigens sah er wohl
ein, daß er allein einer so großen Aufgabe nicht gewachsen sei. Be-
scheiden, wie alle Männer von wahrem Verdienst, begriff er, daß er
sich nach Hilfe umsehen müsse, und sich solche zu verschaffen, war
daher die erste seiner Sorgen. Rapet-Mayer.
197. Ein wohlhabendes Dorf.
In das Gebiet der Gemeinde gehörte auch das Besitztum eines
reichen Mannes mit Namen Hofmann, bestehend aus einem hübschen
Landgut mit Schlößchen. Er selbst wohnte jedoch in der Stadt und
kam nur in der schönen Jahreszeit manchmal heraus. Der Charakter
der Schönfelder und der Anblick ihres Elends waren ihm zuwider.
Er hatte den guten Willen, Hilfe zu leisten, wo es not tat, sah aber
wohl ein, daß seine Wohltätigkeit dem Übel nie an die Wurzel kam.
Arbeitsam und beharrlich, aber schüchtern und schwer von Entschluß,
hätte er nie das Werk begonnen, das sich Doktor Auer zur Aufgabe machte.
Dieser aber begriff, welchen Beistand er bei einem Manne finden
könne, der Glücksgüter und die erforderliche Muße neben einem offenen
Sinne für das Wohl seiner Mitmenschen besitze. Er machte daher
Herrn Hofmann mit seinem Vorhaben bekannt, welcher es beifällig