1903 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Polack, Friedrich, Stier, K., Krämer, J. B., Schreiber, B., Rockstroh, J.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Ländliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): Jungen
Vi. Bildung und ihre Bedeutung, Besitz und seine Pflichten. 167
ließ, das Geld alsdann in Körbchen einstrich und daraus wieder ausgab
und auszahlte, ohne Päckchen gemacht zu haben, ohne Rechnung zu
führen. Verschiedene ihrer Mahnungen waren fruchtlos, und sie sah
wohl ein, daß, wenn er auch nichts verschwendete, manches in einer
solchen Unordnung verschleudert werden müsse. Der Wunsch, ihn auf
bessere Wege zu leiten, war so groß bei ihr, der Verdruß, zu sehen,
daß manches, was sie im kleinen erwarb und zusammenhielt, im großen
wieder vernachlässigt wurde und auseinander floß, war so lebhaft, daß
sie sich zu einem gefährlichen Verbuche bewogen fühlte, wodurch sie ihm
über diese Lebensweise die Augen zu öffnen gedachte. Sie nahm sich
vor, ihm soviel Geld wie möglich aus den Händen zu spielen, und
zwar bediente sie sich dabei einer sonderbaren List. Sie hatte bemerkt,
daß er Geld, das einmal auf dem Tische aufgezählt war, wenn es eine
Zeitlang gelegen hatte, nicht wieder nachzählte, ehe er es aufhob; sie
bestrich daher den Boden eines Leuchters mit Talg und setzte ihn in
einem Schein von Ungeschicklichkeit auf die Stelle, wo die Dukaten
lagen, eine Geldsorte, der er eine besondere Freundschaft gewidmet halte.
Sie erhaschte ein Stück und nebenbei einige kleine Münzsorten und
war mit ihrem ersten Fischfänge wohlzufrieden. Sie wiederholte den
Versuch mehrmals, und ob sie sich gleich über ein solches Mittel zu
einem guten Zwecke ein Gewissen machte, so suchte sie sich doch dadurch
zu beruhigen, daß diese Art von Entwendung für keinen Diebstahl an-
gesehen werden könne, weil sie das Geld nicht mit den Händen weg-
genommen habe. So vermehrte sich nach und nach ihr heimlicher
Schatz, und zwar um desto reichlicher, als sie alles, was bei der inneren
Wirtschaft von barem Gelde ihr in die Hände floß, auf das strengste
zusammenhielt.
Schon war sie beinahe ein ganzes Jahr ihrem Plane treu ge-
blieben und hatte unterdessen ihren Mann sorgfältig beobachtet, ohne
eine Veränderung in seinem heitern Wesen zu spüren, bis er endlich
einmal höchst übler Laune ward. Sie suchte ihm die Ursache seiner
Verstimmung abzulauschen und erfuhr bald, daß er in großer Ver-
legenheit sei. Es hätten ihm nach der letzten Zahlung, die er an den
Lieferanten getan, seine Pachtgelder übrig bleiben sollen, sie fehlten
aber nicht allein völlig, sondern er habe sogar die Leute nicht ganz
befriedigen können. Da er alles im Kopfe rechne und wenig auf-
schreibe, so könne er nicht nachkommen, wo ein solcher Verstoß herrühre.
Margarete schilderte ihm darauf sein Betragen, die Art, wie er
einnehme und ausgebe, den Mangel an Aufmerksamkeit; selbst seine
gutmütige Freigebigkeit kam mit in Anschlag, und freilich ließen ihn
die Folgen der Handlungsweise, die ihn so sehr drückten, keine Ent-
schuldigung aufbringen.
Margarete konnte ihren Gatten nicht lange in dieser Verlegenheit
lassen, um so weniger, als es ihr so sehr zur Ehre gereichte, ihn wieder
glücklich zu machen. Sie setzte ihn in Verwunderung, als sie zu seinem
Geburtstage, der eben eintrat, und an dem sie ihn sonst mit etwas
Brauchbarem anzubinden pflegte, mit einem Körbchen voll Geldrollen
ankam. Die verschiedenen Münzsorten waren besonders gepackt, und