1903 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Polack, Friedrich, Stier, K., Krämer, J. B., Schreiber, B., Rockstroh, J.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Ländliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): Jungen
196 Vii. Der Hof und seine Ordnung, die Haustiere und ihre Pflege.
Aber die Gegend war arm, — arm auch an Vienenfutter. Nur
hier und da ein Blümchen, nirgends eine üppige, farbenreiche, honig-
strotzende Feldblumensaat. Sollte er Bienenstöcke anlegen, ohne sie
unterhalten zu können? Sein guter Kopf half ihm. Ohne zu zögern,
versorgte er sich mit Samen von Feldblumen. Nun sah man ihn an Regen-
tagen in der Umgebung des Dorfes spazieren gehen, um längs der Fuß-
steige, und wo nur überhaupt unbenutzter Boden war, Samen auszustreuen.
Die Dörfler, die ihn so wirtschaften sahen, hielten ihn für einen
Narren, und bald war's in der Umgebung voll von gut oder schlecht
erfundenen Histörchen, die den ehemaligen Sladtherrn, bei dem es im
Kopfe nicht richtig sei, nicht ins günstige Licht stellten.
Aber die Saat war bestellt: Thymian, Luzerne, Malven, Klee,
Buchweizen, Farbkraut, Wau usw.. — lauter fremde Gäste in dieser
Gegend, — waren fröhlich aufgegangen, und in seinem Garten pflanzte
der Stadtherr Bäume, deren Blüten den Bienen willkommen sind.
Wenn nun der Frühling kam, gab es Blumen über und über;
die Bienen fanden reiche Ernte und vervielfältigten sich in eben dem
Maße. Es ist unmöglich zu beschreiben, wie sich die Fluren der Um-
gebung in kurzer Zeit veränderten. Die Natur schien wie neugeboren.
Das Gedeihen der Bienenstöcke des neuen Landwirts überraschte
die Dörfler. Die Zahl der Bienenzüchter im Dorfe vermehrte sich.
Unterrichtet von ihrem praktischen Lehrer, pflanzten auch sie Frucht-
bäume in ihren Gärten, Hagebutten an den Zäunen; und der Boden,
der zu mager für Getreide war, trug nun Luzerne und fetten Klee.
So halle man reichlich Vlehfutter und für die Bienen Blüten genug.
Nach zehn Jahren sah es in dem Dorfe ganz anders aus. Der
Boden, der zweckmäßig bearbeitet und gedüngt worden war, lohnte
durch reichlichen Ertrag; die Haustiere waren wohlgenährt; der Handel
mit Honig und Wachs brachte nicht unerheblichen Gewinn; Wohl-
habenheit war an die Stelle der Dürftigkeit getreten, und das Gedeihen
des einzelnen sicherte das Glück aller.
Das verdankten die Dörfler dem Stadtherrn und seinen Bienen.
„Wo das Dorf ist?" fragst du. Man kann nicht fehlen. Wenn du
in eine Gegend kommst, wo sich die Flur wie ein blumiger Gürtel
um ein Dörfchen schlingt, wo die Menschen und die Bienen gleich
emsig sind, wo man dir freundlich zunickt, wenn man auf deinem
Gesichte die stille Freude an bescheidenem Glück und Wohlstand liest:
da ist das Bienendorf. Such' nur ein wenig daheim, du findest es
schon! — R. Niedergesäß.
144 (156), Die Dienen.
Die Bienen sind unter allen Insekten, vielleicht unter allen Tieren
diejenigen, welche unsere Bewunderung am meisten verdienen. Sie
verdienen sie nicht bloß wegen des großen Nutzens, welchen sie uns
gewähren, sondern auch wegen ihrer sinnreichen Handlungen und häus-
lichen Tugenden. Ihr Haushalt ist ein glänzendes Vorbilo von gegen-
seitiger Zuneigung, von Aufopferung für das gemeinsame Wohl, von