1903 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Polack, Friedrich, Stier, K., Krämer, J. B., Schreiber, B., Rockstroh, J.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Ländliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): Jungen
Xiii. Vaterland und Volkstum.
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Kein Wunder, daß dem Thüringer Wald alljährlich große Scharen
von Wanderern und Sommerfrischlern zuströmen. Nament-
lich die Großstädter Norddeutschlands wählen in großer Zahl die
Ortschaften des Thüringer Waldes zum Sommeraufenthalt. Das kleine
Städtchen Friedrichroda in der Nähe des Jnselberges nennt man
geradezu eine Vorstadt Berlins. Der Thüringer steht diese Sommer-
gäste und Wanderer, die er scherzend „Luftschnapper" nennt, sehr gern,
da sie ein gut Stück Geld ins Land bringen. Die Thüringer sind
ein biederer, genügsamer, fröhlicher und gastlicher Menschenschlag. Mit
Kartoffeln im Keller, Singvögeln in der Stube, Bier im Kruge und
einem Liede in der Kehle sind sie zufrieden und glücklich.
4. Die Gew erbtätigkeit. Im 16. Jahrhundert blühte im
Thüringer Walde der Bergbau, namentlich auf Eisen. Je mehr
aber die Kohle in den Eisenhütten ihre Herrschaft antrat, desto
weniger konnte der Thüringer Wald mit seiner Holzheizung den Wett-
bewerb aushalten. Heute wird nur noch wenig, aber vorzüglich gutes
Eisen gewonnen, das u. a. zu Gewehren verarbeitet wird. Bekannt
ist z. B. die preußische „Gewehrstadt" Suhl, am südwestlichen Fuße
des Beerberges gelegen. — Von andern mineralischen Schätzen ist der
Schiefer wichtig. Gerade die Schiefer des Thüringer Waldes, be-
sonders auch des Frankenwaldes, eignen sich vorzüglich zu Dach- und
namentlich auch zu Tafelschiefern. Aus der Gegend zwischen
Sonneberg und Saalfeld im Herzogtum Meiningen, besonders
aus Lehesten und Gr äsen that, nordnordöstlich von Koburgim
Gebirge gelegen, kommen alljährlich an 2x/2 Mill. eingerahmter Schiefer-
tafeln und 90 Mill. Griffel in den Handel.
Als der Bergbau immer mehr zurückging, mußte die recht dicht
wohnende Bevölkerung zu andern Erwerbszweigen greifen, und zwar
führte der Holzreichtum zur Herstellung von Spiel waren. Den
Mittelpunkt dieser Industrie bildet das schon genannte Sonneberg.
Aus etwa 30 Dörfern der Umgegend bringen die fleißigen Bewohner
jeden Sonnabend die Erzeugnisse ihrer geschickten Hand karrenweise in
die Stadt. Hier bekommen die Sächelchen den Farbenanstrich und die
weltberühmte Marke „Sonneberger". Dann wandern sie in alle Welt;
selbst Amerikas Kleine werden durch sie erfreut. Ein großer Teil
der Waren geht zunächst nach Nürnberg, um hier in „Nürnberger
Spielwaren" umgetauft zu werden. — Der Wert der jährlich in der
Sonneberger Gegend hergestellten Spielsachen beträgt gegen 5 Mill.
Mark. Das Gewerbe lohnt jedoch nur kärglich. Obgleich Frau und
Kinder den Vater angestrengt unterstützen, — bei den kleinen Holz-
männchen z. B. fertigt das eine Glied nur den Rumpf, ein anderes
schnitzt die Arme usw., ein anderes leimt die Teile zusammen usw.,
— wird doch nur ein Verdienst von 4—6 Jt wöchentlich erzielt.
„Das unschuldige Kind" setzt Alex. Ziegler in gefühlvoller Teilnahme
hinzu, „welches am lustigstrahlenden Weihnachtsabende mit Frohsinn
nach jenen Sächelchen greift, hat keine Ahnung von dem trüben
Dämmerlichte, was dort am Walde in der armseligen Hütte fernes
Verfertigers zittert; aber daß es die Eltern wüßten und rechtzeitig