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1. Lesebuch für Fortbildungsschulen - S. 60

1915 - Lahr : Geiger
60 48» Der Bescheid des Torschreibers. Vor fünfzig Jahren kam ein alter Bauer mit wankendem Schritt, auf einen Stab gestützt, an dem Tore einer Residenz an. Der Tor- fchreiber sah aus seiner niedrigen Wachtstube heraus und rief ihn anr „Woher, Alter?" — „Drüben vom Walde her," antwortete der Bauer» — „Wo geht denn Euer Weg hin?" fragte der Torschreiber weiter. — „Nicht weiter, als hierher," war des Bauern Antwort. — „Und wak habt Ihr denn hier zu schaffen?" „Ach!" erwiderte der Alte mit einem tiefen Seufzer, „ich wollte meinen eigenen Sohn verklagen. Seht, du habe ich vor mehreren Jahren mein bißchen Hab und Gut meinen sechs Söhnen abgetreten, um meine alten Tage in Ruhe zu verleben. Der Älteste bekam die Grundstücke, Haus und Hof, Äcker und Wiesen; ev verglich sich mit feinen Brüdern und versprach, mich bis an meinen Tod zu ernähren und zu verpflegen. Aber das will er nun nicht mehr tun, und bei meinen andern Söhnen finde ich auch keine Hilfe. Darum will ich mich mit einer Klage an die hochfürstliche Regierung wenden." „Aber sagt mir doch," fragte der Torschreiber, „wie alt seid Ihr denn eigentlich?" — „Großer Gott!" entgegnete der Bauer, „ich bin nun dreiundsiebzig Jahre alt." — „Nun," sagte der vorwitzige Tor- schreiber, „da kann ich Euch den Bescheid selbst geben, und Ihr braucht Euch nicht erst an die Regierung zu wenden. Ihr wißt ja, daß in der Heiligen Schrift steht: Unser Leben währet siebzig Jahre. Da habt Ihr schon drei Jahre zuviel gelebt!" Der Alte sah den Torschreiber erschrocken an. „Ja, wenn's sa ist, so tue ich wohl am besten, wenn ich umkehre; unser Herrgott wirb mir ja wohl gnädig sein und mich bald zu sich nehmen!" sagte er endlich wehmütig und setzte sich auf einen Stein vorm Tore, um aus- zuruhen. Den Greis hat auch bald unser Herrgott zu sich genommen; auf dem Steine aber am Tore sitzt alle Sonntage der älteste Sohn und- bettelt. 49. Auch der Landwirt mutz rechnen. Wenn unsere Landwirte überall Buch und Rechnung führten, dann würden manche der jetzt so oft ertönenden Klagen über die schlechte- Lage des Bauern verstummen. Woher kommt es denn, daß dessen Er- werb häufig ein so ungünstiger ist? In vielen Fällen einfach daher, daß man nicht zu rechnen weiß. Kennt ein Mann die Rente, die er aus einem Grundstück herauszuwirtschasten vermag, so wird er den Preis, den er dafür anlegen darf, darnach bemessen, während jetzt geradezu blind drauf los gekauft wird. Ja, es kommt sogar vor, daß
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