1905 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Scharf, Th., ,
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1900
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Unterrichtsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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gibt. Sie zupft daran wie eine Kuh, der man eine Hand voll Heu
vorhält. Es ist verschwunden. Der Junge holt einen ganzen Arm
voll baumwollenen Schnee unter der Maschine hervor und behauptet,
das sei die eben verzehrte Handvoll. Wir zweifeln, und er zeigt uns,
wie es zugeht. Im Innern wird die Baumwolle mit rasender Kraft
und Geschwindigkeit zerzaust und hin und her geworfen, so daß alle
fremdartigen Bestandteile zu Boden fallen.
Nun ist sie rein und reif zum Spinnen, denken wir, das ist aber
ein starker Irrtum; es war nur die erste von zwölf oder noch mehr
ähnlichen Reinigungen. Die nächsten sehen wir unter den beiden
Rohrbläsern, einer ganzen Reihe zischender und fauchender Höhlen, in
die der baumwollene Schnee wie ein milchweißer Regen herabströmt.
Wir sehen in das Innere hinein und finden, daß die Baumwolle
gleich ani Eingänge von einer furchtbaren Windkraft in den dünnsten
Nebel zerblasen wird. Stählerne Flügel bewegen sich in diesem Raum
so rasch, daß sie zu einem kaum sichlbarkn Nebelfleck verschwinden. Hier
werden die Samenkörner und kleinen fremdartigen Bestandteile vollends
abgesondert und durch die Ritzen unten zu Boden geschleudert, während
die leichten Baumwollenfasern von Wurfschaufeln im Fluge erhalten
werden, bis sie am entgegengesetzten Ende wie ein immerwährender
Schneesturm herausfliegen, so daß wir im Umsehen wie lebendige
Schneemänner nebeneinanderstehen. Gegenüber wird der Baumwollen-
schnee von Käfigen verschlungen, die ihn, in wattenartige Bogen ge-
preßt, auf der anderen Seite abliefern. Ein Blick in einen solchen
Käfig zeigt uns einen Wirrwarr von Freß- und Verdauungswerkzeugen,
so schlingt und krümmt und windet es sich darinnen.
So geht die Baumwolle durch 12 Reinigungs-, Wurf-, Hechel-
Dresch- und Siebwerkzeuge, bis sie zuletzt blendend weiß, wunderschön
wie ein sich senkender Schnee hinsäuselt, aber ohne sichtbare Zwischen-
räume, nicht als Flocken. Nachdem die gleichsam flüssige Baumwolle
zu großen Rollen geformt ist, wandert sie zu den Krempel- und
Kämmmaschinen, von wo sie den Ziehmaschinen überliefert wird, die
in wunderbar künstlicher Weise den luftigen Stoff zu Fäden verarbeiten.
Wenn aber nun einmal unter den Tausenden von Fäden ein Faden
reißt, was dann?
Sowie das geschieht, fällt eine Platte hörbar nieder, ein Zeichen
für den Maschinisten, das ihn mahnt, die bestimmte Stelle sofort in
Ruhe zu versetzen. Dies geschieht, und eins der beaufsichtigenden
Mävchen holt das davongelaufene Stück Faden zurück, und der Schade
ist schneller geheilt, als wir nur bemerken, daß die Maschine still stand.
Dieses Ankleben, scheinbar eine gedankenlose Verrichtung, ist eine Kunst,
die große Übung verlangt.
Die Baumwollenwebereien liefern glatte, geköperte, gemusterte und
sammetartige Stoffe; wir nennen: Schirling, Domestik und Mexikan,
Kattun, Nanking, Manchester, Kambrik, Tüll, Perkal, Barchent, Satin
und Piquö. Außer ihrem Hauptzweck, der Verarbeitung zu Gespinsten,
dient die Baumwolle in gereinigtem Zustande auch als Verbandwolle
und gefärbt als Verpackungswolle für Gold- und Silberwaren. Auf