1905 -
Wittenberg
: Herrosé
- Hrsg.: Scharf, Th., ,
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1900
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Unterrichtsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Dem gewerblichen Leben der damaligen Zeit fehlten der Gel d-
v er kehr und dauernde, sichere Mittelpunkte des Handels und
Wandels.
Erst durch die Entwicklung des städtischen Lebens konnte das
Handwerk zur Blüte gelangen. Zwar blieb auch hier der Handwerker
zunächst von den Herren abhängig. Letztere lieferten ihm den Rohstoff,
die Werkzeuge u. a. und gaben ihm für die Bearbeitung des Stoffes
Kost und wohl auch besondere Vergütung, Lohn. Aber nichtsdesto-
weniger war das Abhängigkeitsverhältnis vielfach ein recht drückendes.
Kamen die Herren mit ihrem Gefolge in die Stadt, so waren Bäcker,
Fleischer und Brauer verpstichtet, alle zum Lebensunterhalt nötigen
Nahrungsmittel umsonst und in genügender Menge zu beschaffen, so-
wie zu ihrer Weiterbeförderung, gleich einer Frone, Pferde, Wagen
und Schiffe unentgeltlich zu stellen; andere Handwerker wieder hatten
für andere Bedürfnisse zu sorgen. So heißt es im 48. Kapitel der
Stadtartikel zu Straßburg: „Wenn der bischof zu Hope vert, so git
jeklich smit zwe rosysen (Hufeisen) mit den nagelen un jeklich satler
zwene somsattle (Saumsättel)." Freilich war es dem Handwerker in
der Stadt auch nicht schwer, für Fremde zu arbeiten; er verdiente sich
deshalb hier leichter etwas als auf dem Lande. Je größer die Zahl
der Handwerker wurde, desto weniger wurde ihre Kraft für den Herrn
in Anspruch genommen, desto mehr gewannen sie Zeit, für eigene
Rechnung zu arbeiten. Sie lernten auf eigenen Füßen gehen und
wurden nach und nach von ihren Herrschaften unabhängiger.
Alle, die später einwanderten, waren von vornherein unabhängig,
indem sie keinem Frondienste unterworfen waren, sondern nur einen
jährlichen Zins für die Bebauung oder Benutzung des dem Bischof
oder Adligen gehörigen Bodens zahlten. So kam es, daß das Hand-
werk nach und nach dem Handel dienstbar wurde und sich vom
Ackerbau löste. Allein es bestanden immer noch die hofrechtlichen
Lasten und Abgaben, nach denen z. B. die Handwerker kein eigenes
Vermögen haben konnten. Nach ihrem Tode fiel daher von Rechts
wegen der Nachlaß an den Herrn. Doch wurde es früh allgemein
Sitte, den Übergang der Hinterlassenschaft auf die Erben zu gestatten
und nur einen Teil der Gaben zu fordern. Das war das B u t e i l
oder Hauptrecht, ein Teil des Nachlasses, womit die Hörigen die
Erbschaft von dem Herrn loskauften. Diese Abgabe wurde in den
Städten unbillig und drückend; sie lähmte Fleiß und Arbeitseifer und
verhinderte, daß sich das Handwerk und mit ihm der Handel erweitern
und aufschwingen konnten. Diese drückenden Fesseln wurden den
Städten zuerst von den deutschen Kaisern genommen. Letztere waren
den Städten sehr verbunden, denn in dem großen Kampfe des deut-
schen Kaisertums mit dem Papsttum standen die Städte fast aus-
nahmslos treu zum Kaiser. Die Stadt Worms war es z. B., die
Heinrich Iv. in seinem Kampfe gegen Gregor Vii. und gegen die
Fürsten treulich unterstützte; seine siegreichen Heere bestanden fast nur
aus Kaufleuten und Handwerkern. Für diese Treue belohnte sie der
Kaiser. Es wurden den Städten immer mehr Vorrechte gegeben, und