1891 -
Essen
: Bädeker
- Autor: Schürmann, Franz, Windmöller, Friedrich
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1881
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: ABC_Lesen
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Nicht jeder Kultus hat bei den ihm dienenden Völkern in gleichem Maße
das heilige Feiler der Kunst anzufachen gewußt, auch ist der Sinn für das
Schöne iil der Kunst wohl kaum bei allen Völkerstämmen gleich verteilt.
Wenigstens lehrt uns die Geschichte, daß in der alten Welt vorzugsweise die
Ägypter und vor allen die Griecheil in ihren Tempeln Bauwerke von idealster
Schönheit schufen. Ihnen zunächst stehen in der neuen Welt als Träger des
Christentums die germanischen Völker; auch bei diesen hat die Begeisterung
für das Erhabene in der unseren nordischen Verhältnissen entsprechenden Kirchen-
bauweise einen ureigenen Ausdruck gefunden, welcher niächtig genug war, zur
Zeit seiner höchsten Blüte weit über die Grenzen germanischen Nassengebiets
auch die Baukunst freinber Völker zu beherrschen.
Während das Wesentliche des heidnischen Tempelbaues darin bestand,
das Bildilis der Gottheit, der die Stätte geweiht war, aufzunehmen, und es
in der Regel nur den: Priester erlaubt war, das Innere der Tempel zu be-
treten, indes das Volk vor den Tempelhallen des Opfers harrte, geboten die
Vorschriften des Christentums, daß die Gemeinschaft der Gläubigen sich inner-
halb des Gotteshauses versammle und Andacht übe. Hierdurch waren von
Anfang an zwei hochwichtige Unterschiede zwischen dem heidnischen Tempel und
der christlichen Kirche gegeben.
1. mußte der innere Raum der Kirche wesentlich größer sein, um die
Gläubigen aufnehmen zu können, und
2. war dieser größere Raum vollständig zu überdecken, während bei den
Völkern des Altertmns der innere Tempelranm nur teilweise überdeckt und
in der Mitte oben offen war.
Auf der Lösung dieser beiden Aufgaben beruht hauptsächlich die Entwickelung
und das Eigentümliche des christlichen Kirchenbaues, dessen Errungenschaften
später auch ans die weltliche Baukunst des Mittelalters übertrageil wurden.
Die ersten Baumeister christlicher Kirchen gingen zur Erreichung ihres
Zieles von römischen Bauwerken aus, in denen sie sowohl was die Grundform,
als auch was die Konstruktion der Decken anlangte, Vorbilder fanden, mittelst
deren sie den ersten räumlichen Bedürfnissen genügten. In dem Maße nun
als sich das Christentum ausbreitete und die Zahl der Gläubigen vermehrte,
mußten auch die kirchlichen Anlagen vergrößert werden. Als das Christentum
die herrschende Religion geworden, galt es nunmehr nicht bloß Bauwerke
herzustellen, welche ihren zwecklichen Bedürfnissen genügten, sondern auch das
Wesen des Christentums in seiner erhabenen Idee versinnbildlichen sollten.
So erhielt nach und nach die Grundform der Kirchen die Gestalt eines
Kreuzes, bei welchem das Chor speziell den Kultushandlnngen diente, während
das Schiff zur Aufnahme der Gläubigen bestinnnt war. Später erhielt das
Chor einen weiteren Schmuck durch Umbauung mit Kapellen, in welchen be-
stimmte Heilige verehrt wurden.
In gleicher Weise vergrößerte sich nach und nach das Schiff, und da
die Schwierigkeit des Überdeckens weit gespannter Räume der weiteren Ver-
größerung Grenzen setzte, ging man dazu über, das Schiff durch Säulenreihen
der Länge nach zu teilen, jedoch so, daß das Mittelschiff von überwiegender
Breite gegen die Seitenschiffe blieb und unterschied nun je nach dem so ge-
teilten Raume drei- oder fünfschiffige Anlagen. Zur Weite dieser Teilungen
stand ihrerseits die Höhe des umschlossenen Raumes in bestimmten Verhält-
nissen. Die Deckensysteme bestanden entweder in der sichtbaren Dachkonstruktion
oder in geraden Holzdecken in Kaseltenform, oder in Gewölbebildungen ver-