1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Die erste deutsche Stahlfederfabrik.
Tausenden aufgeschichtet, mit einer Brühe aus Öl, Seifenlauge und Schmirgel
übergössen und dann in Lappen gepackt. Diese Pakete werden in der
Scheuerhank längere Zeit in rollende Bewegung versetzt, wodurch sich die
Nadeln aneinander schleifen.
Nun erst können geschickte Arbeiterinnen ihr Werk beginnen. Auf
einer glatten Tischplatte, die sehr scharfe Kanten hat, siehst du Reihen von
Nadeln liegen; diese hat den Kopf, jene die Spitze nach vorn gerichtet.
Ein Mädchen schiebt mit einem scharfen, breiten Lineal die Nadeln nach
der Tischkante hin, bis die mit dem Kopfende nach vorn liegenden über-
kippen und in ein Gefäß fallen. Die mit der Spitze nach vorn gerichteten
Nadeln dagegen bleiben liegen und werden beiseite geschoben, während
die in das Gefäß gefallenen die Reise über den Tisch von neuem be-
ginnen müssen. So kann durch die kluge Anwendung eines einfachen
Naturgesetzes eine geübte Person in einem Tage eine halbe Million
Nadeln in der gewünschten Richtung aufreihen. Nachdem an einzelnen
Nadeln noch nachgebessert worden ist, schadhafte und zerbrochene ausge-
lesen sind, stellen die Arbeiterinnen jene Nadelbriefchen her, welche in alle
Welt versandt werden.
Den jährlichen Weltverbrauch an Nadeln berechnet man auf 50 Mil-
liarden. Wo aber bleiben diese ungeheuren Mengen? Alte Briefmarken
sammelt man; aber eine verbrauchte Nadel — wem fällt es wohl ein, sie
aufzuheben ? Sie kommt in den Kehricht und verschwindet, ohne daß jemand
daran denkt, durch wieviel Nachdenken, Geschicklichkeit und Geduld sie her-
gestellt Worden ist. Nach Franz Büttgenbach.
*40, Die erste deutsche Sfahlfederfcibrik.
i. Noch vor 50 Jahren wurden zum Schreiben Gänse- und
Schwanenkiele benutzt. Der Lehrer mußte damals in der Schule
viel Zeit und Mühe auf das Schnitzen der Federn verwenden, und das
Federmesser war für den, der viel zu schreiben hatte, ein unentbehr-
liches Werkzeug. Leider ist die Fertigkeit des Federschneidens fast
ganz verloren gegangen. Die alte Gänsefeder wurde genau so ge-
schnitten, wie sie der Hand des Schreibenden entsprach. Man kuppte
z. B. die Schnabelspitze der Gänsefeder mehr oder minder schräg
nach rechts oder nach links ab. Ebenso gab man der Gänsefeder
eine besondere Abrundung der Spitze, wenn dies die Eigenart der
Hand erforderte. Merkwürdigerweise hat man diese Verschieden-
artigkeit der Federspitzen des Gänsekiels fast gänzlich unbeachtet
gelassen, als man anfing, Stahlfedern herzustellen.
Die ersten Stahlfedern wurden ums Jahr 1830 in England
hergestellt; waren aber sehr teuer und in vieler Beziehung mangel-
haft. Allmählich wurden sie jedoch verbessert und fingen an die
alten Kiele zu verdrängen.
Im Jahre 1855 gründete Siegmund Blanckertz in Berlin neben
der bereits seit 184g bestehenden Handelsfirma Heintze & Blanckertz
eine Stahlfederfabrik, welche 1856 bereits in vollem Betriebe stand