1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Im Puddelwerk.
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verfügten bei höheren Selbstkosten nur über schlechte Landwege,
und von seiten des verarmten Staates geschah nichts, solche Zu-
stände zu bessern.
Auf diese Übelstände wies ein Bahnbrecher der Industrie im
Ruhrgebiet, Friedrich Harkorü), durch Wort und Schrift hin. In
England hatte er sich davon überzeugt, welche großen Fortschritte
dort das in Deutschland noch unbekannte neue Eisenfrisch-Verfahren,
das sogenannte Buddeln, gemacht hatte. „Unsere Eisenhütten,“ so
schrieb er im Jahre 1824, „werden im Durchschnitt jämmerlich be-
trieben: kleine Öfen, schlechte Gebläse, ungleiches Material, ge-
ringe Erzeugung stellen die Selbstkosten erheblich höher als in
England. So ist es erklärlich, daß die Ausländer das Eisen 40
bis 6o°/o billiger erzeugen und wir von den auswärtigen Märkten
verdrängt werden mußten. Es erscheint daher notwendig, daß
sich für die Einführung des Buddel Verfahrens eine Aktien-Gesell-
schaft bilde, da nur eine solche die Sache mit Nachdruck be-
treiben kann.“
Aber Harkort blieb ein Frediger in der Wüste. Da entschloß
er sich, selbst Hand ans Werk zu legen. Abermals reiste er (im
Jahre 1826) nach England, um erfahrene Arbeiter für das erste
Buddel- und Walzwerk zu werben, welches er in Wetter an der
Ruhr anlegen wollte. Mit einem Buddelmeister, einem Hammer-
schmied und einem Walzer kehrte er zurück; die einheimischen
Arbeiter gewannen allmählich Selbstvertrauen und machten sich
das neue Arbeitsverfahren zu eigen.
Harkorts Verdienst bestand nicht nur darin, daß er das erste
Buddel- und Walzwerk errichtete, sondern beruhte auch darauf, daß
er, den eigenen Vorteil außer acht lassend, seine Fabrik niemand ver-
schloß, ja sogar andere in ähnlichen Unternehmungen mit Rat und
Tat unterstützte.
Solche Selbstlosigkeit begegnete in Verwandten- und Freundes-
kreisen ernstem Tadel. Harkort pflegte jedoch darauf zu antworten:
„Mich hat die Natur zum Anregen geschaffen; das Ausbeuten muß
ich andern überlassen.“ So verbreitete sich das Buddelverfahren
rasch im ganzen Ruhrgebiete und weit darüber hinaus. In groß-
artigem Maßstabe ist es in der weltberühmten Kruppschen Fabrik
in Essen ausgebildet worden. Nach L Berger
Ii.
Das Kruppsche Buddelwerk zu Essen umfaßt drei hohe, luftige
Gebäude, jedes 70 m lang und 40 m breit. Sie liegen in einer
Flucht nahe beisammen und stellen für sich allein schon eine große
Eisenhütte dar, obwohl sie nur einen kleinen Teil der gewaltigen *)
*) Erst Kaufmann, dann Industrieller und Politiker (1793—1880), wurde in
der Schlackt bei Ligny verwundet. Nach den Freiheitskriegen errichtete er Walz-
und Eisenwerke mit Arbeiterkrankenkassen und andern wohltätigen Einrichtungen
(s. Nr. 45). Er befürwortete schon 1827 heim Freiherrn von Stein die Einrichtung
von Eisenbahnen und der Dampfschiffahrt auf dem Rhein und der Weser und arbeitete
Pläne aus zur Anlage von Kanälen zwischen Elbe und Rhein, wurde Mitglied des
preußischen Abgeordnetenhauses und des norddeutschen Reichstages und trat für die
Hebung der Volksschulbildung entschieden ein.