1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Die Entwicklung der Kruppschen Gußstahlfabrik.
Ofen hervorgeholt. Je zwei Arbeiter ergreifen einen Tiegel mit einer zwei-
armigen Zange, und von jedem Ofen bewegt sich eine Prozession nach der
Gießform hin. Jedes Paar leert seinen Tiegel in die Gießrinne aus, durch
welche das weißglühende, wasserdünne Metall in die Form rinnt, tritt dann
zur Seite, entledigt sich des Tiegels und schreitet wieder dem Ofen zu, um
etwa zehnmal denselben Gang zu machen. Binnen einer halben Stunde sind
1200 Tiegel geleert, und die Form enthält dann 54 t Tiegelstahl. Hunderte
von Arbeitern bewegen sich fast lautlos, so sicher wie eine Maschine und
doch scheinbar frei und ungezwungen; denn ein Befehl wird kaum gehört.
Ehe die gewaltige Stahlmasse erstarrt ist, mögen wohl Stunden vergehen.
Sie enthält nicht das kleinste Gasbläschen und zeigt in allen Teilen eine
durchaus gleichmäßige Zusammensetzung. Das wirklich Eigenartige des
Kruppschen Werkes liegt in der Herstellung und Verwendung schwerster
Tiegelstahlblöcke bis zu dem unglaublichen Gewicht von 85000 kg.
Für die Kanonen verwendet Krupp trotz bedeutend größerer Unkosten
nur Tiegelstahl, während man sich im Auslande für diesen Zweck mit dem
weit billigeren Martinstahl begnügt. In den Kanonenwerkstätten der Fabrik
erblickt man die gewaltigen Feuerschlünde; die größten haben eine lichte
Weite von 35 cm und eine Länge von 14 m. Zunächst wird das Rohr
vorgebohrt, indem ein fester Kern herausgeholt wird. Nun erfolgt das Fertig-
bohren des Rohres, und endlich zieht eine besonders zu diesem Zwecke ein-
gerichtete Maschine die spiraligen Gänge in die Seelenwand des Rohres,
durch welche die Kanone zu einer „gezogenen“ wird. Beim Abfeuern des
Geschützes wird der hervorstehende Kupferrand des Geschoßmantels durch
diese Züge gepreßt. Dadurch wird das Geschoß in eine bohrende Bewegung
versetzt, so daß es sich im Fluge nicht überschlägt, sondern seine Spitze
immer nach vorne gerichtet bleibt. Bis zum Ende des Jahres 1901 hat die
Kruppsche Fabrik beinahe 40000 Geschütze geliefert. Nach Friedrich Müller.
*44. Die Entwicklung der Kruppschen Eupcihlfcibrik.
1. Dem Puddeleisen haften zwei Hauptmängel an. Da es aus der
teigigen Puddelmasse hervorgeht, so ist es aus zusammengeschweißten Fasern
verschiedener Härte zusammengesetzt; seine Struktur ist also nicht völlig
gleichartig. Nachteiliger sind aber die Schlackenreste, welche, wenn auch
mikroskopisch klein, das Puddeleisen noch durchsetzen. Jede derartige Un-
gleichmäßigkeit hat bei Werkzeugen ein Ausbrechen und baldiges Stumpf-
werden der Schneide zur Folge. Bei ganz kleinen Stahlgegenständen aber,
wie bei den Spiralfedern der Taschenuhren, muß das kleinste Schlacken-
körnchen verderblich wirken. So hat denn auch zuerst ein Uhrmacher, Hunts-
man in Sheffield, die fabrikmäßige Darstellung völlig gleichartigen Stahls in
Angriff genommen. Ums Jahr 1770 gelang es ihm nach beharrlich fortge-
setzten Versuchen, aus feuerfestem Ton Tiegel herzustellen, in welchen er
unter völligem Luftabschluß Rohstahl schmolz und längere Zeit in dünn-
flüssigem Zustand erhielt. Dadurch stieg jede Spur von Schlacke an die
Oberfläche, und das Metall wurde durchaus gleichmäßig. Zu Anfang des