1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Das Bergische Land und seine Industrie.
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*124. Das Bergifche Land und [eine Industrie.
1. Während im Osten des preußischen Staates die Landwirtschaft vor-
herrscht, hat von dem Westen die Industrie Besitz ergriffen, und der „indu-
strielle Westen" ist ein stehender Ausdruck geworden. Kohle und Eisen
sind die Wahrzeichen des Ruhr- und des Saargebietes; Aachen und seine
Umgebung sind bekannt durch Tuch-, Nadel- und Glasfabrikation;
München-Gladbach ist ein wichtiger Mittelpunkt der Tuchweberei und
Baumwollenindustrie, und Krefelds Seideniudnstrie ist weltbe-
kannt. Ein eigenartiges Gemisch jedoch bietet die Industrie des Bergischen
Landes dar, da sich hier fast sämtliche Industriezweige des Westens zu-
sammengefunden haben. Ursprünglich wurde im Bergischen Lande nach
Eisenerz gegraben, und schon ums Jahr 1120 begünstigte Kaiser Heinrich Ii.
hier den Bergbau, während man im Ruhrgebiet erst ums Jahr 1300 Stein-
kohlen förderte. Zur Gewinnung des reinen Metalls lieferten die bergischen
Wälder die Kohlen. Allmählich aber zerstörte der Hüttenbetrieb den Wald-
bestand des Landes; die entholzten Höhen wurden besiedelt, und man begann
Eisen zu schmieden. Die Solinger Schwertklinge erlangte schon um
die Mitte des 13. Jahrhunderts Vollkommenheit und Ruf, und noch heute
versteht man ihr eine solche Härte zu geben, daß sie Eisen durchhaut,
und eine solche Biegsamkeit, daß man sie als Leibgurt gebrauchen könnte.
Jetzt werden in Solingen und seiner Umgebung Schueidewerkzeuge für
alle nur denkbaren Zwecke und Berufsarten hergestellt. In eigenen Werk-
stätten verfertigen die Arbeiter die einzelnen Teile von Messern, Gabeln,
Degen, Scheren u. dgl. und verkaufen sie an die Fabrikherren, welche sie
schleifen und zusammensetzen lassen.
Schaut man von dem hochgelegenen Solingen nach Osten, so erblickt
man die auf dem Ende eines Bergrückens liegende gewerbtütige Stadt Rem-
scheid. Zwischen beiden Städten zieht sich das Tal der Wupper hin, welche
das Bergische Land durchfließt. Zwar ist sie nur ein kleiner Zufluß, aber doch
einer der wichtigsten Nebenflüsse des Rheins. Die Länge ihres Laufs beträgt
kaum 100 km; dennoch ist sie unter allen Gewässern wohl dasjenige, welches
am meisten arbeiten muß. Durch ein enges Tal, das sich dann und wann
zu einem Kessel mit breiterer Sohle erweitert, fließt sie in raschem Laufe
zwischen hohen, grünen Bergen hin. Den geräumigsten dieser Kessel füllen
die Schwesterstädte Barmen und Elberfeld aus, unterhalb deren sich das
Wuppertal wieder verengt. Früher war es dem Verkehr zwischen Remscheid
und Solingen sehr hinderlich; allein Ingenieur und Techniker haben dieses
Hindernis überwunden; denn seit einigen Jahren sind beide Städte durch
einen Schienenweg miteinander verbunden, welcher kühn über das Wuppertal
hinwegsetzt. Die 500 m lange Kaiser-Wilhelm-Brücke bei Müngsten darf sich
rühmen, die höchste ihresgleichen in Deutschland zu sein (107 m über dem
Flusse). Der eiserne Bogen, welcher die Wupper überbrückt, hat eine Spann-
weite von 170 in; der Riesenbau hat einen Aufwand von 4 Millionen kg
Eisen erfordert und 2l¡2 Millionen Mark gekostet.
2. Aber auch eine Fußwanderung nach Remscheid hat manchen Reiz.
Jenseits der Brücke steigt die Straße beständig aufwärts. Zur Rechten er-
heben sich mächtige Felsen; zur Linken aber hört man unaufhörlich Hämmer
pochen und Schleifsteine schnurren. Der Morsbach und seine Zuflüsse, die
von dem Remscheider Bergrücken zur Wupper hinabeilen, treiben sie.
Heinecke, Lesebuch für gewerbliche Forlbildungsschulen. 18