1903 -
Essen
: Baedeker
- Autor: Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Handwerk ehrt, Handwerk nährt.
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führte, und Meister Wernthal mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen
fein; denn die Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohl-
wollen und Güte.
Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, bemerkte bald,
daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die ihn so emsig den Hobel
führen ließ, sondern daß eine Aufregung sich seiner bemächtigt hatte, und daß
sich eine gewisse Unzufriedenheit auf seinem hübschen Antlitz wiederspiegelte.
In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Heinrich
Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhöfe umherstolzieren sehen;
der hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern mit artigen, gebildeten
Reisenden zu tun, und statt eines kärglichen Wochenlohnes strich er reichliche
Trinkgelder ein, für welche er sich endlich selbst eine „Restauration" oder ein
Gasthaus kaufen oder pachten wollte, um dann als großer Herr zu leben.
Der arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer bescheidenen
eigenen Werkstatt bringen, in der er zeitlebens hobeln und bohren, sägen und
nageln mußte, um sein karges tägliches Brot zu verdienen. Nein, was
Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch! Friedrich Breitkopf ließ noch
einmal den Hobel kräftig über sein Brett hingleiten, blies sodann die Späne
fort, warf ihn auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich mache Schicht!"
Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Er
blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du willst fremb
machen?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich trotzig, „ich habe das
Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres werden und hänge den Tischler an
den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzettel und meinen Lohn, wenn
Sie wollen!" „Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd,
„eigentlich------—" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen
Lohn nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm Friedrich
noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und die
paar Groschen Lohn kann ich missen!" — „Nun, nun," antwortete Meister
Wernthal jetzt mit leisem Spott, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich
nicht halten, 's ist freilich jetzt grad' viel zu tun; aber ich bekomme schon
einen andern Gesellen, und was deinen Lohn anbelangt, den kannst du auch
bekommen."
2. Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit
Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe, sondern auf
dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich gerade eine Kunst-
gewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet worden, und so hatte
Friedrich Breitkopf schnell das Ziel seiner Wünsche erreicht: er war Kellner
in einem Ausstellungs-Ausschank geworden, und reichlich flössen die Trink-
gelder in seine Tasche. Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen,
und im Geiste sah er sich schon als Gasthofsbesitzer in einer glänzenden
Kutsche spazieren fahren.
Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es ihm
etwas wunderlich zu Mute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich
auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel aus Eichenholz,
woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mitgearbeitet hatte. Ein Schreibtisch
war es, der von vornherein die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesncher auf
sich gelenkt hatte. Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in
allen seinen Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, und sie mußten
gestehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Friedrich
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