1878 -
Braunschweig
: Vieweg
- Autor: Jütting, Wübbe Ulrich, Vorbrodt, Franz
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch, Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
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Weltgeschichte.
auf, mit ihm in den Krieg zu ziehen. Ein wilder Iubelruf unterbricht seine Rede;
man eilt zu den Waffen, die nebst verschiedenen Siegeszeichen an den Wänden
hangen, und hinaus geht's, durch den düstern Wald hindurch, nach dem heiligen
Eichenhaine, wo sich die Helden versammeln. Hugo Weber.
9. Die Sitten der alten Deutschen.
Groß, stark und schön waren die alten Deutschen. Wie Riesen blickten sie
Uber andere Menschen hin. Weiß und rein war die Farbe ihrer Haut; in üppiger
Fülle floß das goldgelbe, blonde Haar bei Männern und Frauen hernieder, und
aus den großen, blauen Augen blickten Muth und edler Freiheitsstolz. Das
Leben in der freien Natur war ihr Element; Krieg und Jagd trieben die Männer;
Ackerbau und Viehzucht überließ man den Sklaven und Weibern. Freiheit war
ihnen das höchste Gut, und wer hätte sie diesen Männern entreißen mögen, die
mit Ungestüm in die Schlacht wie zum Tanze sprangen, die auf dem Schilde über
die Gletscher und Eisberge rutschten, Ströme ableiteten zum Grabe ihrer Könige,
Flüsse mit ihren Schilden aufzuhalten suchten? Doch lag bei aller ungebändigten
Naturkraft in den alten Germanen tiefer, einfacher Sinn, ein kindlich sittliches
Leben, die größte Zucht und unbefleckte Keuschheit. „Dort lächelte niemand",
sagt der ernste Römer Tacitus, „über das Laster; bei ihnen vermochte die gute
Sitte mehr, als in Rom das strengste Gesetz."
Die Fülle der Kraft galt unseren Urvätern so hoch, daß sie kranke Kinder
lieber tödteten, als zu Krüppeln heranwachsen ließen, und daß die Alten, wenn
sie sich für nichts mehr tüchtig hielten, sich selber den Tod gaben. Deshalb
wurde die Kraft des Leibes auch frühzeitig gestählt, das neugeborene Kind in
kaltes Wasser getaucht, das herangewachsene durch jede Leibesübung abgehärtet.
Der Knabe ging mit dem Vater auf die Jagd oder warf sich bei Sturm und
Wetter in den Strom und rang mit den Wellen. Der Jüngling sprang nackt
zwischen nackten Schwertern und Lanzenspitzen einher, und der Beifall des Volkes
lohnte die Kecksten und Geschicktesten. Verstand der Jüngling die Waffen zu
führen, konnte er Bären- und Wolfsfelle, die Hörner des Ur als Triumphzeichen
aufweisen, dann hatte er das Ziel langen Strebens erreicht: er ward würdig be-
funden, in die Zahl der Männer aufgenommen zu werden. Die Edelsten des
Stammes gürteten ihn mit dem Schwerte, reichten feiner Linken den Schild und
drückten ihm den Speer in die Rechte. Seine liebste Lust war dann, mit dem
Feinde sich zu messen oder das riesige Wild zu erlegen. Das Mädchen hingegen
lernte Sitte und Zucht bei der keuschen und treuen Mutter. Die Jungfrau
gab nur dem Tapfersten ihr Herz. Der Mann beschenkte als Bräutigam die
Braut mit einem Ringe und mit niedrigen Schuhen, durch deren Anlegung sie in
die Gewalt des Mannes trat; er brachte dem Weibe zum Witthum Waffen und
Roß. Die Verlobte brachte dem Manne zur Mitgift außer einem Rindergespaune
auch wohl ein Schlachtroß, den Schild und die Waffe; im Frieden wie im Kriege
wollte sie mit ihm leben und sterben. Hochgeehrt von ihrem Gatten führte die
Frau im Hause die unumschränkte Oberherrschaft; sie gebot über die dienende