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1. Für allgemeine Fortbildungsschulen mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse des gewerblichen Lebens - S. 214

1878 - Braunschweig : Vieweg
214 Natur- und Culturleben. ein Gebirge mit hohen Bergspitzen und Burgen, bald gar, wenn der Wind die Wolken jagte, ein fliehendes, vom Feinde Verfolgtesheer. Jetzt ergötzte sie sich an den Wolken- rändern, welche die untergegangene Sonne vergoldet hatte. Nach und nach schwanden die goldenen Ränder der Wolken, aber Emma stand noch immer sinnend da, als ein leises Geräusch auf dem Nähtischchen sie aus ihren Träumen weckte. Sie sah sich um, und ihr Blick fiel auf den Fingerhut, der wie ein Zwerg auf dem hohen Polster dastand. Es war ihr, als sähe er sie mit seinen vielen, kleinen Augen an, wie wenn er etwas zu erzählen hätte. Emma lauschte; denn nichts war ihr jetzt so lieb, als eine Geschichte. Endlich lispelte der Fingerhut vom seidenen Polster herab: „Emma, da jetzt Feier- stunde ist, so will ich dir die Geschichte meines Lebens erzählen." Augenblicklich setzte sich Emma still auf ihren Stuhl, um dem Fingerhut aufmerksam zuzuhören. Dieser fuhr daraus also fort: „Vor nicht langer Zeit lag ich tief, tief in der Erde in einem langen, dunkeln Gefängnisse. Ein ganzes Heer von Fingerhüten, die jetzt wohl in alle Welt zerstreut sein mögen, waren meine Kameraden. Aber keiner konnte zu dem andern kommen, Jeder mußte für sich bleiben. Wir waren damals noch unansehnliches Eisengestein und lagen regungslos zwischen den meilenlangen Felswänden unseres Gefängnisses wie hineingegossen da. Wären wir nicht an's Tageslicht gekommen, wir wären immer starres Gestein geblieben. Lange, ach! gewiß viele tausend Jahre, mochten wir hier so dagelegen haben, als wir einstens ein Pochen an der dicken Wand unseres Kerkers vernahmen. Es war so tactmäßig, wie das Picken der Wanduhr hier in der Stube. Gern hätte ich erfahren, was das sei; denn obwohl ich damals noch kein Fingerhut mit vielen Augen war, so war ich doch schon etwas neugierig. Zu Zeiten hörte das Picken und Pochen auf, aber dann erdröhnte ein gewaltiger Donner, daß wir alle zitternd zusammenschraken, die Gefängnismauern mit. Das Klopfen kam mit jedem Tage näher, und eines Tages vernahm ich es ganz dicht vor meinen Ohren. Ehe ich's mich versah, erdröhnte jener fürchterliche Donner wieder, und zusammen brach ein Stück von der Wand unseres Kerkers. Frei von den Ketten flog ein Theil von uns, in einzelne Steine zerstückelt, heraus, ich mit, aber vom Schreck wurde der eine hierhin, der andere dorthin geworfen. Mir war Hören und Sehen vergangen. Als ich wieder zur Besinnung kam, sah ich Männer vor mir stehen, die hielten Lampen in der Hand und waren in Leinwand von schwarzer Farbe gekleidet. Auf dem Kopfe trugen sie einen grauen Filzhut ohne Krämpen, und einige von ihnen hatten spitze Eisenstäbe und Hämmer. Der Schein ihrer Lichter machte es so hell, daß ich mich nun auch umsehen konnte, wo ich denn eigentlich war. Ich lag noch immer unter der Erde, aber in einem großen hohen Felsenraume, worin ein Haus gewiß Platz gehabt hätte. Meines Gleichen lagen noch viele auf dem Boden des Felsengewölbes. — Nicht lange, so stellten sich die schwarzen Männer längs der Felswand auf, das spitze Eisen in der einen Hand, den Hammer in der andern. Das Klopfen ging von neuem los, indem sie nach dem Tacte mit dem Hammer auf das Eisen schlugen und dadurch Löcher in die Felswand bohrten. Als diese tief genug waren, füllten sie dieselben mit Pulver an, verschwanden plötzlich und versteckten sich in Felsengänge. Einige Augenblicke war es todtenstill; doch bald blitzte das Pulver auf, und rasch folgte der Donner hinterdrein. Eine Menge Gefangene prasselten wieder aus ihrem Gefängnisse heraus. Das ging Tag für Tag so fort. Eines Tages lud uns ein Mann in einen Karren und fuhr uns in einem unterirdischen Felsengange entlang, der sehr schmal und so niedrig war, daß sich der Mann etwas bücken mußte. Dieser Gang führte nach einem andern Gange, der höher und breiter war als der erste. Hier floß Wasser hell und klar, und auf dem Wasser stand ein Kahn, der uns aufnahm. Der Mann setzte sich mit seiner Lampe auf uns, und wir fuhren so in dem dunkeln Gange lange Zeit fort. Du hast neulich hier am Nähtische deiner Gespielin auch von einer Wasserfahrt erzählt, aber bei meiner Fahrt wäre es dir gewiß etwas unheimlich geworden; denn da unten blühet kein Vergißmeinnicht an den Wassern, da singt keine Schwalbe, da schwimmt kein Fischlein munter auf und ab. Dumpf rauschte das Wasser unter dem Kahne, und stieß er an die Felswände, so dröhnte es hohl wie in einem Grabe. Ich weiß nicht
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