1910 -
Leipzig [u.a.]
: Teubner
- Autor: Gehrg, Hermann, Stillcke, Fr., Helmkampf, Adolf, Krausbauer, Theodor
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1909
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Fortbildungsschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Ländlich-gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
296 V. Im Weltverkehr und im Vaterlande.
See war das Eidertal zu erreichen, das zur Nordsee führt. In dieser
Richtung wurde wirklich von 1777—1784 von der dänischen Regierung
ein Kanal ausgesührt. Dieser Eiderkanal, wie man ihn nannte, war
für jene Zeit ein großartiges Unternehmen. Leider gestatteten seine
Größenverhältnisse nur kleineren Schiffen den Durchgang.
2. Im Jahre 1848 wurde der Plan eines unmittelbaren Durch-
stichs zwischen Nord- und Ostsee wieder angeregt: doch blieb es bei der
Ausarbeitung verschiedener Pläne und Kostenberechnungen. Mit der
Lostrennung der Herzogtümer Schleswig und Holstein von Dänemark
1864, ihrer Vereinigung mit Preußen, der Wiederaufrichtung des
Deutschen Reiches trat die Kanalsrage wieder auf, um eine feste Gestalt
zu gewinnen. Nachdem vom preußischen Landtag und dem deutschen
Reichstage die Mittel — 156 Millionen Mark — bewilligt worden
waren, konnte Kaiser Wilhelm I. am 3. Juni 1887 durch Legung
des Grundsteins zu der Schleuse bei Holtenau das nationale Werk
beginnen. Acht volle Jahre hat der Bau in Anspruch genommen. Nun
steht er vollendet da, eines der größten Werke, die im 19. Jahrhundert ge-
schaffen worden sind. Der große Kanal ist fast 100 km lang, oben 65,
unten noch 22 m breit und durchschnittlich 9 in tief. Er bietet Raum
genug für die größten Schlachtschiffe und Handelsdampfer. Sechs
erweiterte „Ausweichen" gestatten den größten Schiffen, aneinander
vorbeizufahren. Der Kanal beginnt bei Brunsbüttel an der Elbmündung,
geht in einigen Krümmungen erst nördlich bis über Grünental hinaus,
dann in sanften Biegungen östlich bis zur vierten Ausweichestelle, von
dort, wieder eine nordöstliche Richtung einschlagend, bis nach Rendsburg,
erreicht hierauf in einer nach Süden offenen Krümmung den nördlichsten
Punkt und wendet sich dann in östlicher Richtung seinem Endpunkte
Holtenau zu.
3. Der ueue Kaiser-Wilhelm-Kanal kürzt den Seeweg zwischen
Nord- und Ostsee um 238 Meilen und läßt die Gefahren vermeiden,
denen früher die Schiffe bei der Fahrt um Skagen ausgesetzt waren.
Wenn man bedenkt, daß in den Jahren 1858—1885 längs der dänischen
und schwedischen Küste nicht weniger als 6316 Strandungen von
Dampfern und Segelschiffen vorgekommen, und daß zwischen >875 und
1880 allein an deutschen Schiffen 92 verloren gegangen sind, wird
nian den gewonnenen Vorteil zu würdigen wissen. Schon die Zeit-
ersparnis bei einer Fahrt durch den Kanal ist von hoher wirtschaftlicher
Bedeutung.
Eine besondere Wichtigkeit für das Deutsche Reich gewinnt der
Kanal durch seinen hohen strategischen Wert. Früher war die
deutsche Kriegsflotte durch die jütische Halbinsel in zwei Hälften geteilt.
Dieser Übelstand ist heute beseitigt. Der Kaiser-Wilhelm-Kanal bietet
der deutschen Flotte die Möglichkeit, außerhalb des Machtbereichs des
Feindes in kurzer Zeit ihre ganzen Kräfte zu vereinigen, ohne daß sie
dabei die dänischen Gewässer zu passieren braucht. Der Gegner muß
also jetzt, um mit Überlegenheit aufzutreten, der ganzen deutschen
Flotte gewachsen sein.