1912 -
München [u.a.]
: Oldenbourg
- Autor: Kracher, Fritz, Baier, Hans
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Kaufmännische Schule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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6. Das Geheimnis der Mischung.
hat er kein Versprechen, kein Wort und keinen Schwur von mir
verlangt. ,Sie sind ein braver, tüchtiger Mensch, ich hab' Ver-
trauen zu Ihnen und ich weiß, daß Sie meine gute Meinung nicht
täuschen werden/ — Das war alles, was er gesagt hat. Kaum
acht Tag' sind's her, seit ich von der Schmelzerei ins Laboratorium
gekommen bin — und jetzt hat sich heut' schon der Mann da an
mich herangemacht und hat gemeint, er braucht nur seine Brief-
tasche aufzumachen, daß ich meine Ehr' hineinfallen lass' zwischen
seine Hundertguldenzettel."
Aufatmend schwieg er. Seine junge Frau erwiderte kein Wort.
Sie stand ans einem Stuhl und klebte die bunten Kerzlein auf die
obersten Zweige des Baumes. Dabei zitterten ihre Hände — und
nach einer stummen Weile fuhr es ihr plötzlich heraus: „Robert!
wenn du zu einer solchen Schlechtigkeit hättest ja sagen können —
der liebe Gott soll mir helfen, ich glaub', da wär's aus gewesen
mit meiner Lieb'."
Er nickte nur, als hätte sie etwas Selbstverständliches gesagt.
Nun sprang sie vom Stuhl und die Kerzen wurden angezündet.
Robert öffnete die verschlossene Türe, der Großmutter voran stürm-
ten die drei „Wilden" herein und lachende, jauchzende Freude
füllte die Stube, die vor wenigen Minuten noch so ernste Worte
gehört. Als sich der erste Jubel der Kinder ein wenig gelegt hatte,
kam mit der Bescherung die Reihe an den Vater. Mit lächelnder
Zufriedenheit betrachtete er eine nach der andern von den zwölf
brettdicken Socken, welche die Großmutter ihm gestrickt hatte —
eines nach dem andern von den sechs rot eingestickten, sorgfältig
gesäumten Taschentüchern, die ihm seine Frau beschert hatte. Dann
aber kam erst die Hauptsache. Die siebenjährige Elise brachte ein
Paar gestickte Schuhe und deklamierte dazu eine Pantoffelhymne,
als deren Dichterin sich mit verlegenem Erröten die Großmutter
bekannte. Die Verse happerten zwtjr, aber sie kamen von Herzen.
Dann rückte die dreijährige Marie an. Sie konnte nur mit einem
vom Lernen noch warmen Vaterunser aufwarten. Der fünfjährige
Fritz hinwieder hatte sich statt auf die Religion auf die Kunst ver-
legt. Mit seinem piepsenden Stimmlein sang er ein Liedchen und
marschierte in steifem Hochschritt um den Tisch.
„Kinder! Kind.er! her zu mir!" schrie der Vater, in dessen
Lachen sich längst schon rinnende Zähren gemischt hatten. Mit
beiden Armen faßt er die drei Knirpse zusammen und während
er sie eng an seine Brust drückte, daß sie lange Gesichter schnitten,
schaute er über ihre Blondköpfe hinweg ins Leere und stammelte:
„Der, der soll mir kommen und soll mir so eine Freud' verderben
wollen — so eine Freud'!" Da klang von draußen ein schrillender