Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Lesebuch für kaufmännische Schulen - S. 14

1912 - München [u.a.] : Oldenbourg
14 6. Das Geheimnis der Mischung. hat er kein Versprechen, kein Wort und keinen Schwur von mir verlangt. ,Sie sind ein braver, tüchtiger Mensch, ich hab' Ver- trauen zu Ihnen und ich weiß, daß Sie meine gute Meinung nicht täuschen werden/ — Das war alles, was er gesagt hat. Kaum acht Tag' sind's her, seit ich von der Schmelzerei ins Laboratorium gekommen bin — und jetzt hat sich heut' schon der Mann da an mich herangemacht und hat gemeint, er braucht nur seine Brief- tasche aufzumachen, daß ich meine Ehr' hineinfallen lass' zwischen seine Hundertguldenzettel." Aufatmend schwieg er. Seine junge Frau erwiderte kein Wort. Sie stand ans einem Stuhl und klebte die bunten Kerzlein auf die obersten Zweige des Baumes. Dabei zitterten ihre Hände — und nach einer stummen Weile fuhr es ihr plötzlich heraus: „Robert! wenn du zu einer solchen Schlechtigkeit hättest ja sagen können — der liebe Gott soll mir helfen, ich glaub', da wär's aus gewesen mit meiner Lieb'." Er nickte nur, als hätte sie etwas Selbstverständliches gesagt. Nun sprang sie vom Stuhl und die Kerzen wurden angezündet. Robert öffnete die verschlossene Türe, der Großmutter voran stürm- ten die drei „Wilden" herein und lachende, jauchzende Freude füllte die Stube, die vor wenigen Minuten noch so ernste Worte gehört. Als sich der erste Jubel der Kinder ein wenig gelegt hatte, kam mit der Bescherung die Reihe an den Vater. Mit lächelnder Zufriedenheit betrachtete er eine nach der andern von den zwölf brettdicken Socken, welche die Großmutter ihm gestrickt hatte — eines nach dem andern von den sechs rot eingestickten, sorgfältig gesäumten Taschentüchern, die ihm seine Frau beschert hatte. Dann aber kam erst die Hauptsache. Die siebenjährige Elise brachte ein Paar gestickte Schuhe und deklamierte dazu eine Pantoffelhymne, als deren Dichterin sich mit verlegenem Erröten die Großmutter bekannte. Die Verse happerten zwtjr, aber sie kamen von Herzen. Dann rückte die dreijährige Marie an. Sie konnte nur mit einem vom Lernen noch warmen Vaterunser aufwarten. Der fünfjährige Fritz hinwieder hatte sich statt auf die Religion auf die Kunst ver- legt. Mit seinem piepsenden Stimmlein sang er ein Liedchen und marschierte in steifem Hochschritt um den Tisch. „Kinder! Kind.er! her zu mir!" schrie der Vater, in dessen Lachen sich längst schon rinnende Zähren gemischt hatten. Mit beiden Armen faßt er die drei Knirpse zusammen und während er sie eng an seine Brust drückte, daß sie lange Gesichter schnitten, schaute er über ihre Blondköpfe hinweg ins Leere und stammelte: „Der, der soll mir kommen und soll mir so eine Freud' verderben wollen — so eine Freud'!" Da klang von draußen ein schrillender
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer