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1. Lesebuch für kaufmännische Schulen - S. 338

1912 - München [u.a.] : Oldenbourg
338 155. Eine deutsche Stadt im Mittelalter. lateinischen Lehrer, einem angesehenen Manne, der vom Rat besoldet wird. Er hat großen Zulauf von armen Schülern aus der Fremde, welche bei den Bürgern betteln und durch Almosen erhalten werden. Die Stadt baut gerade ein schönes Rathaus, zierlich und schmuck- voll, darin einen Saal für die großen Feste der Stadt und ansehn- licher Bürger. Aber zwischen Dom und Rathaus ist eine kunstlose Wasserpfütze mit schwimmenden Enten und daneben steht der deutsche Dorfbaum, die alte Linde; sie ist dem Bürger Erinnerung an eine Zeit, wo seine Stadt noch nicht war und wo die Waldvögel in den Zweigen sangen, auf denen jetzt nur Sperlinge sitzen und im Winter die Krähen. Der Morgen wird den Bürgern durch Geläut verkündet und die Glocken der zahlreichen Gotteshäuser tönen fast den ganzen Tag hindurch. Ihr Ton ist dem Bürger herzlich lieb; er umklingt ihm das ganze Leben, wie er seinen Vorfahren getan. Wenn der Heim- kehrende den Glockenklang seiner geliebten Stadt auf dem Felde hört, dann hält er still und betet. Darum ehrt er seine Glocken wie lebende Wesen; er gab ihnen Frauennamen, den großen am liebsten Anna, Susanna, und er war geneigt ihnen ein geheimnisvolles Leben anzudichten. Allmählich werden Turmuhren eingeführt. Bis zu ihnen hat nur das Geläute die neun Tageszeiten der Kirche gemeldet und daneben das Horn oder die Trompete der Türmer. Die Sonnenuhr und vielleicht eine große Sanduhr am Rathause haben am Tage den Verlauf der Stunden gewiesen. Die Stadt hat ihren Markttag; am Rathause ist die rote Fahne ausgesteckt. Solange sie hängt, haben die fremden Verkäufer das Marktrecht. Zu allen Toren ziehen die Landleute der Umgegend herein, auch die Landbäcker und Metzger, welche an besonderen Plätzen feilhalten dürfen. Auf Ständen, Tischen in Krambuden sind die Waren ausgelegt. Aber das Wertvollste war damals in dunkeln Stuben und Gewölben der großen Kaufherren, in eisernen Truhen und hinter festem Verschluß aufbewahrt. Nur der Goldschmied stellte kleine Becherlein und Ketten hinter die grünen Fensterrauten der Werkstatt, vorsichtig und unter Aufsicht, damit nicht ein fremder Strolch hineinschlage und mit der Beute entlaufe. An dem Stadttor wird jeder Wagen, der passieren will, von den Torhütern sorglich beschaut. Den Karren der Landleute folgen große Frachtwagen. Ihr Inhalt ist unter einer Leinwanddecke verborgen; es ist wertvolles Kaufmannsgut, eine schwere Ladung; denn viele Pferde waren nötig den Wagen fortzuschaffen; bewaffnete Reiter des nächsten Landesherrn haben ihn geleitet. So knarren die Wagen und handeln die Menschen, bis die Marktfahne vom Rathause abgenommen wird oder ein Glöcklein
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