1912 -
München [u.a.]
: Oldenbourg
- Autor: Kracher, Fritz, Baier, Hans
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Kaufmännische Schule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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159. Die alten Zollschranken.
Nach einigen Stunden standen die Reisenden an der hannover-
schen Grenze vor einem Zollhause. Ein Beamter trat an den Wagen-
schlag und fragte: „Haben die Herrschaften etwas Zollbares?"
Der Herr Professor sprach mit Gewissensruhe: „Nein!" während die
Frau Professorin leicht errötete. „Ich muß Sie bitten auszusteigen;
der Wagen muß untersucht werden," begann der Beamte wieder.
Willig stiegen die Insassen aus, der Beamte in den Wagen,
aber ebenso schnell wieder heraus. „Es war dies meine Pflicht,"
sagte der höfliche Hannoveraner; „reisen Sie glücklich," fügte er
hinzu. Ohne Anstand ging die Reise weiter. Andern Tags standen
die Reisenden vor einem Schlagbaum von Bückeburg. Dort spielte
sich eine ähnliche Untersuchung ab, die ebenso glücklich ablief. Mit
unendlicher Seelenruhe stieg der Herr Professor wieder zu Wagen,
während um die Lippen der Frau Professorin ein triumphierendes
Lächeln spielte.
Es dauerte nicht zwei Stunden, so hielten die Reisenden vor
einem Zollhause von Lippe-Detmold. Der herantretende Zoll-
wächter machte ein höllisch brutales Gesicht und verlangte den Wagen
zu untersuchen, obwohl die Reisenden auf Ehrenwort versichert
hatten etwas Zollbares nicht zu besitzen.
Der Zollbeamte stieg in den Wagen, hob das Sitzkissen auf und
sah in den Kutschkasten. „Was ist in dem Sack da?" rief der Beamte,
indem er den verhängnisvollen Kaffeesack dem erstaunten Herrn
Professor vor die Augen hielt. Die Frau Professorin wurde leichen-
blaß und fand es für das zweckmäßigste sofort in eine tiefe Ohnmacht
zu sinken. Ihr Gatte war durch diese Vorgänge entsetzlich erregt
und trug zunächst seine teure Gattin in das Zollhaus. Während der
Gatte die Gattin ins Leben zurückzurufen bemüht war, waren
die Zollbeamten beflissen den Sack Kaffee, welchen die Frau Pro-
fessorin gegen Willen und Wissen ihres Gatten heimlich mitgenommen
hatte, zu wiegen, den Zoll und die Strafe dafür zu berechnen. Als
dies alles fertig war, erwachte die Frau Professorin wieder. Der
Gatte war darüber glückselig, vergaß dabei die Erleichterung, die
seinem Geldbeutel soeben zuteil geworden, und war schonungsvoll
genug der angegriffenen Gattin jeden Vorwurf wegen des Kaffees
zu ersparen. Als sich aber die letztere wieder erholt hatte, so bestand
sie darauf, daß der kontreband gemachte Kaffee eingelöst, verzollt
und als zollpflichtiges Gut mit nach Hause genommen werde. So
ungern der Herr Professor darein einwilligte, so wollte er doch die
liebe Gattin nicht aufregen und löste deshalb den Kaffee ein.
Ohne weiter viel zu fragen nahm die Frau Professorin ihren
Kaffeesack, steckte denselben wieder in den Kutschkasten und hurtig
ging die Reise weiter.