1905 -
Schwerin i. M.
: Bärensprung
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch, Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Gewerbeschule
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
Auch ein Denkmal.
13
„Schon gut," unterbrach der Meister den stotternden Jungen.
„Was hast du denn vorhin mit dem Fritz gehabt?"
„Ich ... er schimpft immer über uns Schlosser, der Fritz,
und da. . ."
„Und da hast du ihn durchgeprügelt?"
Karl nickte mit dem Kopfe.
„Richtig," fuhr der Meister fort, „denn die Schlosser sind brave,
rechtschaffene Leute, die darf man nicht beschimpfen lassen, und die
Schlosser sind ehrliche Leute. Du aber," rief der Meister mit er-
hobener Stimme und stand aus, „du aber bist kein ehrlicher Mensch,
denn du hast deinen Meister bestohlen. Haben dir die Äpfel ge-
schmeckt? Ein ehrliches Auge hat auf deiner unehrlichen Hand geruht.
Du bist ein Dieb! Pfui! Mich dauert nur deine arme Mutter! Marsch
in die Werkstätte! Dort sollst du deine Prügel haben, und morgen früh
packst du dein Bündel und dich selber!"
Karl stand totenbleich vor seinem Meister. Er sagte nichts als:
„Meine arme Mutter!" und zwei schwere Tränen bahnten sich jede
einen hellen Kanal über das rußige Gesicht. Dann schlich er still
hinaus in die Werkftätte.
Zehn Minuten später folgte ihm der Meister in Begleitung eines
sehr bedenklich aussehenden Haselstockes. Mitten in der Werkstütte stand
Karl mit einem schmerzverzogenen Gesicht, und seine rechte Hand war
mit einem schmutzigen Tuche umwickelt.
„Was soll das wieder?" rief der Meister mit ausbrechendem Zorn
und machte eine verdächtige Bewegung mit dem Haselstocke. „Was
treibt der Bube für Possen?"
Der Junge sah den Meister mit überströmenden Augen an und
deutete stumm auf seine umwickelte Hand.
„Heinrich, sprich du!" wandte sich der Meister an den Gesellen,
„was hat der Schlingel wieder getrieben?"
„Ja, Meister," erwiderte der Geselle, „das ist eine sonderbare
Geschichte. Vorhin kam Karl herein, ging langsam an die Feueresse, zog
ein glühendes Eisen aus dem Feuer und brannte sich ein Loch in die
Hand. Eine schreckliche Brandwunde! Es riecht in der ganzen Werk-
stätte wie verbranntes Fleisch!"
„Was?" rief Herr Martin erstaunt, „eine Brandwunde? Heraus
mit der Sprache! Karl, Bursche, was ist's mit deiner Hand?"
Der Junge schluchzte, daß es ihm Herzstöße gab: „Ein ... ein
Denkmal, Meister! Ich ... ich hab' mir's hineinge... gebrannt, daß
ich mein Lebtag dran denke. O, nur ... nur meiner Mutter nichts
sagen! Ich werd's gewiß nimmer tun!" Und der arme Junge hob
wie beschwörend die verwundete Hand in die Höhe.
Der Meister hatte erstaunt zugehört, und der Haselstock ver-
schwand langsam hinter seinem Rücken und fiel zu Boden. In dem
Gesichte des Meisters aber zuckte es wie Rührung, er legte wohl-
wollend die Hand auf das Haupt des weinenden Jungen und sagte:
„Karl, du brauchst dein Bündel nicht zu schnüren, ich werd's auch
deiner Mutter nicht sagen; denn jetzt weiß ich, du wirst es nie mehr
tun. Geh zur Meisterin und laß dich verbinden!" .