1897 -
Stuttgart
: Bonz
- Hrsg.: Württembergisch-Evangelisch Schullehrerunterstützungsverein, ,
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Berufsbildung
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): evangelisch-lutherisch
No. 181.
Kirchengeschichte.
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was man will, — den Ruhm verdient es gewiß, das Jahrhundert der
Humanität, des praktischen Christentums zu heißen.
Barmherzige Liebe kostet Geld. Darum ist's gut, daß der reichste Mann
in Württemberg, nämlich der Staat (welcher freilich auch am meisten Schul-
den hat!), das Seinige dazu hergiebt. Der Staat sorgt jetzt fast ganz von
sich aus für die Waisenkinder; evangelische Waisenknaben kommen nach
Stuttgart, evangelische Waisenmädchen nach Markgröningen ins Waisenhaus.
Ebenso ist für die Taubstummen von Staats wegen trefflich gesorgt.
Könntest du nur einmal in einer der vier Taubstummenanstalten einen halben
Tag zuhören, du würdest dich wundern, wie da menschliche Geduld und Kunst
die „Taubstummen" reden lehrt! Auch für die Bildung der Blinden in
Schulfächern und Handfertigkeit geschieht von Obrigkeits wegen viel, haupt-
sächlich in der Nikolauspflege zu Stuttgart und in dem Blindenasyl zu
Gmünd. Denken wir vollends an die vielen armen Geisteskranken, welche
in den Staatsirrenhäusern in Winnenden, Zwiefalten, Schufsenried, Weißenau
gepflegt werden; an die teilweise vorzüglich eingerichteten Kranken- Versor-
gungs- und Landarmenhäuser, welche sich von den früher mit Recht so gefürch-
teten Spitälern unterscheiden wie Tag und Nacht; an den stets wachsenden
Armenaufwand unserer Gemeinde- und Staatsbehörden, so stehen wahrlich
ansehnliche Leistungen der öffentlichen Armenpflege vor unsern Augen.
Aber das Beste thut immer die freiwillige Liebe. Voran geht hier
mit leuchtendem Beispiel unser Königshaus. Und doch sind nicht die Ge-
schenke fürstlicher Huld, auch nicht die großen und kleinen Gaben der bürger-
lichen Kreis? das eigentliche Triebrad des großen Liebeswerks, sondern die
aufopfernde Kraft derer, welche darin persönlich thätig sind. Dies mag eine
kurze Wanderung durch das reiche Gebiet uns vor die Seele führen.
Schon für die kleinsten Kinder in der Stadt, deren Mütter den ganzen
Tag dem Geschäft außer dem Hause nachgehen müssen, giebt es Pflegehäuser,
„Krippen," so genannt um des liebsten Kindes willen, das im Stall ge-
boren ist. Welchen Wert eine Kleinkinderschule für die drei-bis sieben-
jährigen Kinder hat, weiß jedermann; haben wir doch jetzt mehrere Hundert
solcher Bewahranstalten in unserem Land. Aber auch manchen Schulkindern
muß man, zumal in größeren Städten, im sogenannten Knabenhort eine
Heimstätte öffnen, weil die Stube ihrer Eltern erst abends von 6 oder 7 Uhr
an offen ist. Oft verwildert ein Kind gerade deswegen, weil Vater und
Mutter zu wenig Zeit haben, nach ihm zu sehen; manchmal fehlt es aber auch
an der nötigen Zucht und am guten Beispiel daheim. Wie gut ist es, daß
wir in unseren Rettungsanstalten allerlei verwahrlosten Kindern die
Erziehung geben können, welche sie brauchen! Von den 16 Anstalten dieser
Art in Württemberg sind die bekanntesten die in Stuttgart (Paulineupflege),
Lesebuch für Fortbildungsschulen. 24