1906 -
Leipzig
: Hahn
- Autor: Wehrhan, Karl, Kleineberg, W.
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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„Geschicklichkeit hat er besessen," nahm jener wieder das Wort, „aber
den jetzt lebenden Steinmetzen, einem Adam Ar afft kommt er
nicht gleich, Hier an der Frauenkirche, da könnt Ihr sehen, was
der eine und was der andere leistet. Die Airche ist von Echonhofer.
aber die kunstreiche Aapelle über dem Portal ist von unserem Araffn
dem geschicktesten Baukünstler und Bildhauer."
A)ie angezaubert stand ich noch an dem Brunnen. Da schlug
die Uhr der Frauenkirche, und paumgärtner zwang mich, nach der
Airche zu gehen, um das In ä n n l e i n l a u f e n zu sehen. Es
hieß das kunstreiche Uhrwerk über dem Eingang der Airche,
weil jede stunde bewegliche, bunt bemalte Figuren hier einen Hm>
zug hielten. Das sah ganz possierlich aus. Auf dem Throne faß
Aaiser Karl. Ein Herold erschien, und ihm folgten vier Posaunen-
bläser und darauf die sieben Aurfürsten mit den Reichskleinodien.
Jene, sobald sie vor dem Aaiser waren, setzten die Posaunen an
den Mund, und diese nahmen fein zierlich die Hermelinmützlein ad.
Über dem siegprangenden Aaiser hieß es: „Mensch, bedenke dein
Ende"; denn der Anochenmann schlug mit der Eense die stunden
an die Glocke. Die Figuren waren in Aupfer getrieben und vom
Meister Eebastian Lindenast verfertigt, der vom Aaiser Max
dafür allerlei Freibriefe erhielt.
Auf den Rat paumgärtners begab ich mich jetzt nach der
Lorenzkirche, um daselbst das Eakramentshäuschen von Adam
Arafft zu sehen, das er mir als das kunstvollste Merk schilderte. Der
gerade U)eg führte mich über die Holzbrücke, von der das Auge die
gelblichen Fluten der Pegnitz sich an den Borden fruchtbarer Inseln
brechen sieht. Ich stand jetzt vor dem Lorenzmünster, und die Frauen-
kirche war vergessen. Als ich zwischen den beiden goldgedeckten
Türmen den Giebel mit dem runden, sternförmigen Fenster, die reichen
Bildwerke des Eingangs sah, da meinte ich, daß die Baukunst nichts
höheres erschaffen könnte; doch als ich in die Airche trat und die
himmelanstrebenden Gewölbe erblickte, ward ich zweifelhaft. Erhebend
ist ein Blick zwischen die Pfeilerreihen, deren Bogen sich wie zu einem
Laubgange vereinigen. Unbegreiflich, wie die Steine ihre Natur ver-
leugneten und emporstiegen auf das Machtgebiet der Aunst, als wenn
der Etämme Lebenskraft die Zweige aufwärts zöge l Ich ging in
den ungemessenen Räumen umher ungewissen Schrittes, bis ich an
einem Pfeiler zunächst dem Hochaltar staunend weilte, Hier ragte
nämlich das kunstvolle Gebäude schlank und zierlich empor, in dem
des Bischofs Hand die Hostie verwahrt. Nicht aus Etein schienen
hier die Aste, Ranken und Blätter gehauen, sondern Blätter, Ranken
und Aste versteinert. Es war das Eakramentshäuscheu,
das wohl 60 Fuß hoch emporstieg. Unten erblickte man das
Bild des Meisters selbst, der mit zwei Gesellen knieend die
Balustrade trug, die das Gebäude umgab; der Meister, ein
ehrwürdiger Aahlkopf mit langem Barte, blickte mild hinauf,