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1. Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen - S. 271

1906 - Leipzig : Hahn
271 an der Kette, um den jeder scheu herum ging, sah finster und mürrisch aus wie immer. Er dachte wahrscheinlich an seinen vornehmen Vetter draußen in der Heide vor dem Tore, der mit seinem gemauerten Unterbau und den vier runden, durch Balken verbundenen Säulen hoch in der Luft meilenweit sichtbar war. Man nannte ihn nicht gern; denn wer spricht gern vom Hängen? Auch der hölzerne Esel neben dem Brunnen auf dem Markte streckte seine langen Ohren träumerisch in den Sonntagsmorgen hinein, wahrscheinlich verwundert, daß seit längerer Zeit kein Verspotteter auf seinem schmachvollen Nucken gesessen hatte. Die Glocken läuteten zur Kirche, und die Gläubigen folgten dem feierlichen Ruse. Ernste Männer, Ratsherren, Sülftneistcr und Hand- werker in pelzverbrümten Schauben oder in geschonten Leibröcken aus dunklem Tuch schritten langsam, bedächtig dahin. Geschmückte Frauen mit gold- und silbergestickten Schapeln und schönen Gürtelketten, an denen die faltigen, sammetbesetzten Kleider geschürzt waren, und sittsame Jung- frauen mit niedergeschlagenen Augen, das Gebetbuch in den gefalteten Händen, wandelten an der Seite der würdigen Eheherren, während Knechte und Mägde sich ihnen bescheiden anschlossen. Auch im Böttcherhause durfte nicniand zurückbleiben. Die Tochter ging mit der Mutter voran, und Meister Henneberg folgte ihnen nüt seinen Söhnen zur benach- barten Nikolaikirche, die zu Anfang des Jahrhunderts mit Hilfe von Stiftungen der in ihrer Nähe wohnenden Schiffer und Salztonnenböttcher erbaut war. Hoch oben im Mittelschiff lief an der Wand unter dem schließenden Gewölbe ein schmaler, schwindelerregender Gang rundum, der nur von einem dünnen Eisenstab umzäunt war und der Mönchsgang hieß. Auf den seitlichen Emporen waren die Wappenschilder der vor- nehmen Geschlechter in der Gemeinde und unten im Schiff die Sitzreihen für den Bürger und Handwerker gleichfalls mit den geschnitzten und gemalten Wappen der Gilden bezeichnet, die hier ihre besümmten Bänke für die Meister und deren Angehörige hatten. Hier ließ sich auch Meister Henneberg mit den Seinen nieder, um seinem Gott zu danken. 118. Pfingsten. Julius Wolff. Sein schönstes Fest, sein Fest im Freien, sein Freudenfest begeht das Jahr. Schmückt Tür und Tor mit grünen Maien, mit Maien Gräber und Altar! Stellt Rotdornzweige und Holunder ins ärmste Armcnstübchen heut! Das Fest der Zeichen und der Wunder hat sonnenfunkelnd sich erneut. Im Blütendufte stehn die Reben, in allen Stämmen quillt der Saft — die alte, heil'ge Lust am Leben flammt wieder auf mit starker Kraft.
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