1906 -
Leipzig
: Hahn
- Autor: Wehrhan, Karl, Kleineberg, W.
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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und Schnittwaren entwickelt und der Stadt einen Weltruf verschafft. Wir
finden in Solingen vor allem die feineren Handarbeiten vertreten: Polieren,
Ziselieren, Damaszieren, Vernickeln, Versilbern, Vergolden, besonders aber
die feinere Schleiferei und das Härten der Scheren-, Messer- und Schwert-
klingen. Diese Erzeugnisse können es mit dem besten englischen Stahl wohl
aufnehmen, ja, viele Scheren gehen nach England und werden von dort
als englisches Fabrikat verkauft, und kaum einen Jahrmarkt gibt es ohne
Messer und andere Waren aus Solingen. Die schon vor Jahrhunderten
hochgeschätzten Solinger Schwerter sind noch heute unübertroffen, sodaß
fast alle Heere der Erde von hier aus ihre blanken Waffen beziehen, wo-
von nötigenfalls jährlich 6—800000 Stück hergestellt werden können.
Graf Adolf Iv. von Berg soll um 1147 Damaszener Waffenschmiede in
Solingen angesiedelt haben; schon 1240 werden die Sensen und Sicheln
aus dem nahen Kronenberg erwähnt und 1290 kommen die steyrischen
Sensenschmiede nach Remscheid.
Schon oben ist die Arbeitsteilung in Solingen erwähnt worden:
Schmied, Härter, Schleifer, Griffmacher, Gesäßmacher, Reider (der die
Teile zusammensetzt) und Schwertfeger sind nacheinander an einem Schwerte
tätig; letzterer stellt die Scheide her. Häufig werden wahre Prunkstücke
fabriziert, von Herrschern und Feldherrn mit Stolz getragen. Im Kau-
kasus soll es heute noch Solinger Klingen geben, die seit alten Zeiten als
Familienkleinode in Ehren gehalten und von Geschlecht auf Geschlecht
vererbt werden. Der Ruf der Solinger Klingen beruht aus ihrer unnach-
ahmbaren Güte, da man sie so zu härten versteht, daß sie selbst Eisen
glatt durchhauen können, ohne Scharten zu bekommen. Die Schwert-
fabrikation mar von jeher ein vornehmes Gewerbe, sodaß sogar adlige Herren
sich bemühten, in dessen Zunft ausgenommen zu werden. — Auch die Messer
und Scheren werden durch Arbeitsteilung hergestellt; das Schmieden, Feilen,
Härten, Schleifen, Glätten, Klarmachen der Augen, Einschlagen des Nagels
in die Schere geschieht von verschiedenen Arbeitern.
Im gesamten Gebiete der Kleineisenindustrie wurden nach einer 1899
ans Veranlassung des Reichsamts des Innern vorgenommenen Produktions-
statistik etwa 80260000 kg Materialien im Rohwerte von zirka 18 Millionen
Mark verarbeitet; der Verkaufswert betrug ungefähr 78500000 Mark. Allein
in Remscheid betrug in dem einen Jahre 1899 der Bahnversand an Roh-
eisen aller Art (Eisen und Stahl, Eisen- und Stahldraht) 28818 Tonnen,
während 76 385 Tonnen eingingen; an fertigen Eisen- und Stahlwaren
kamen mit der Bahn 16347 Tonnen zum Versand.
Solingen und Remscheid liegen hoch und luftig auf gesunden Berges-
höhen, mit ihren reizenden, zerstreut liegenden, schieferbekleideten und mit
grünen Fensterläden versehenen bergischen Häusern einen überaus freundlichen
und sauberen Eindruck machend. Große Fabrikgetriebe sind noch selten, der Be-
trieb des Kleingewerbes geht in wenig ausfallenden, meistens nur einstöckigen
Werkstätten vor sich. Ein fleißiger Menschenschlag wohnt hier. Schon vor
hundert Jahren schrieb jemand: „Die Faulheit ist von diesem Boden ver-
bannt, überall sind wirksame Hände, die Kunstprodukte hervorbringen,
überall sind künstliche Maschinen, die dasjenige ersetzen, was Menschen-
kräfte nicht vermögen, überall ist Tätigkeit und Leben; alle Elemente sind
hier in Bewegung, um den kräftigen Willen der fleißigen Bewohner zu
erfüllen."
Seit dem 15. Juli 1897 sind beide Städte durch die ungefähr
500 Meter lange Kaiser-Wilhelmbrücke verbunden, die größte ihresgleichen
in Deutschland; dem: sie erhebt sich 107 Meter über dem Spiegel der