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1. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 413

1900 - Essen : Baedeker
413 denen diese neue Sache gar verlockend vorkam, und die auch gern das mit- und nachgemacht hätten, was die grosse Nation ihnen vormachte. Der Pfarrer Oberlin liess nun seine Gemeinde unter der Dorflinde zusammenkommen, las ihr das eingegangene Schreiben vor und fügte hinzu, das sei Befehl der Regierung, und da es die Obrigkeit gebiete, müsse man auch gehorchen. Er halte es für gut, noch heute zu den nötigen Beratungen zu schreiten. Zuerst müsse ein Vorsitzender gewählt werden; er, als der gewesene Pfarrer des Orts, dürfe sich für heute wohl noch einmal das Recht nehmen, seine Meinung zuerst zu sagen; er schlage den Schulmeister des Orts als Vorsitzenden vor. Der Schulmeister sträubte sich zwar etwas gegen diese Wahl; aber Oberlin bestimmte ihn bald, sie anzunehmen, und so wurde denn die Wahl des Bruders Schulmeister zum Vorsitzenden einstimmig von den Bauern bestätigt. Jetzt war nun die Reihe an dem Vorsitzenden, aus der Mitte der Versammlung jemand zum Bruder Redner zu ernennen. Wer passte aber dazu besser als der bisherige Pfarrer Oberlin? Die Wahl wurde mit lautem Beifallrufen bestätigt. „Jetzt ist nun die Frage,“ sagte Oberlin, „welches Haus und welchen Tag wir zu unsern Versammlungen wählen wollen. Das Haus des Bruders Vorsitzenden hat nur eine grosse Stube, die Schulstube; da geht aber kaum die Hälfte von uns hinein, besonders da auch die Weiber gern werden zuhören wollen. Im bisherigen Pfarrhause ist auch der Raum gering, und so wüsste ich eben doch im ganzen Steinthale kein schicklicheres Haus zu unsern Versammlungen als die bisherige, gewesene Kirche.“ — Die Bauern gaben hierzu allgemein ihren Beifall. — „Was nun den Tag der Versammlung betrifft,“ fuhr Oberlin fort, „so ist der Montag nicht geeignet, weil da viele nach Strassburg zum Markte fahren, ebenso Mittwoch und Freitag. Ich dächte aber doch, der geeignetste und bequemste Tag zu unsern Versammlungen wäre der bisherige und gewesene Sonntag, und zwar vorzüglich die Vormittagszeit von 9 Uhr an.“ — Die Bauern gaben auch hierzu ihren allgemeinen Beifall zu erkennen. Als nun die Bauern am Sonntag in die Kirche kamen, stand der Bruder Redner in der Nähe des Altars auf ebener Erde. „Was dünkt euch,“ sagte er zu den sich Versammelnden, „sollte es nicht besser sein, ich stellte mich auf die bisherige Kanzel? Wir sind hier zu arm, um uns einen besonderen Rednerstuhl machen zu lassen, und da oben könnt ihr mich besser sehen und hören.“ Die Bauern billigten das. Der neue Bruder Redner trat jetzt auf die Kanzel. Er zog abermals den Befehl der Regierung aus der Tasche und las ihn vor. „Die Welschen,“ sagte er, „wollen also, wir sollen gegen die Tyrannen reden und über ihre Abschaffung uns beraten. Tyrannen sind nun in der alten Zeit solche und solche gewesen, und die haben dies und das gethan. Hier in unserm stillen Steinthal haben wir freilich keinen solchen Tyrannen; es wäre also vergeblich, gegen einen solchen zu sprechen. Ich wüsste euch aber dennoch Tyrannen zu nennen und zu beschreiben, die nicht bloss im Steinthal und in euren Häusern, sondern sogar in euren Herzen wohnen. Gegen diese Tyrannen, Mord, Ehebruch, Fleischeslust und alles gottlose Wesen, will ich also hier reden, so wie ich euch denn auch das beste Mittel nennen und beschreiben will, diese Tyrannen abzuschaffen, welches kein anderes, ewig kein anderes ist, als das durch den Erlöser dargebotene Heil.“ Als der Pfarrer eine Zeit lang so gesprochen hatte, sagte er: „Sollte es nicht besser sein für mich und euch, dazwischen auch eins zu singen, und ■I
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