Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen - S. 355

1907 - Essen Berlin : Bachmann Baedeker
Handwerk ehrt, Handwerk nährt. 355 führte, und Meister Wernthal mußte wohl zufrieden mit dem jungen Burschen sein; denn die Blicke, die er ihm dann und wann zuwarf, zeugten von Wohl- wollen und Güte. Wer indessen den schmucken Gesellen näher betrachtete, bemerkte bald, daß es heute nicht die Lust zum Handwerk war, die ihn so emsig den Hobel führen ließ, sondern daß eine Aufregung sich seiner bemächtigt hatte, und daß sich eine gewisse Unzufriedenheit ans seinem hübschen Antlitz wiederspiegelte. In den letzten Wochen hatte er nämlich seinen Kameraden Heinrich Hacker in Frack und weißer Weste auf dem Bahnhöfe umherstolzieren sehen; der hatte statt mit rauhen, ungehobelten Brettern mit artigen, gebildeten Reisenden zu tun, und statt eines kärglichen Wochenlohnes strich er reichliche Trinkgelder ein, für welche er sich endlich selbst eine „Restauration" oder ein Gasthaus kaufen oder pachten wollte, um dann als großer Herr zu leben. Der arme Tischlergeselle dagegen konnte es höchstens zu einer bescheidenen eigenen Werkstatt bringen, in der er zeitlebens hobeln und bohren, sägen und nageln mußte, um sein karges tägliches Brot zu verdienen. Nein, was Heinrich Hacker konnte, das konnte er auch l Friedrich Breitkopf ließ noch einmal den Hobel kräftig über sein Brett hingleiten, blies sodann die Späne fort, warf ihn auf die Hobelbank und rief: „Meister, ich mache Schicht!" Meister Wernthal glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Er blickte verwundert auf den Gesellen und fragte langsam: „Du willst fremd machen?" „Jawohl, Meister," erwiderte Friedrich trotzig, „ich habe das Hundeleben satt; ich kann etwas Besseres werden und hänge den Tischler an den Nagel. Geben Sie mir meinen Fremdenzettel und meinen Lohn, wenn Sie wollen!" „Hm, hm," brummte Meister Wernthal noch immer zweifelnd, „eigentlich----------" „Wenn Sie mir keinen Fremdenzettel und meinen Lohn nicht geben wollen, so können Sie es bleiben lassen," fiel ihm Friedrich noch trotziger ins Wort; „dann gehe ich ohne Fremdenzettel, und die paar Groschen Lohn kann ich missen!" — „Nun, nun," antwortete Meister Wernthal jetzt mit leisem Spott, „wenn es so mit dir steht, dann will ich dich nicht halten, 's ist freilich jetzt grad' viel zu tun; aber ich bekomme schon einen andern Gesellen, und was deinen Lohn anbelangt, den kannst du auch bekommen." 2. Wenige Tage später stolzierte Friedrich Breitkopf gleichfalls mit Frack und weißer Weste umher, aber nicht auf dem Bahnhöfe, sondern ans dem Ausstellungsplatze vor der Stadt. Es war nämlich gerade eine Kunst- gewerbe-Ausstellung für die ganze Provinz eröffnet worden, und so hatte Friedrich Breitkopf schnell das Ziel seiner Wünsche erreicht: er war Kellner in einem Ausstellungs-Ausschank geworden, und reichlich flössen die Trink- gelder in seine Tasche. Der junge Tischlergeselle jubelte in seinem Herzen, und im Geiste sah er sich schon als Gasthofsbesitzer in einer glänzenden Kutsche spazieren fahren. Einmal freilich in den letzten Tagen der Ausstellung war es ihm etwas wunderlich zu Mute geworden. Der Meister Wernthal hatte nämlich auch ein Werkstück ausgestellt, ein kunstvoll geschnitztes Möbel aus Eichenholz, woran Friedrich Breitkopf selbst wacker mitgearbeitet hatte. Ein Schreibtisch war es, der von vornherein die Aufmerksamkeit der Ausstellungsbesucher auf sich gelenkt hatte. Sachverständige aus der Hauptstadt hatten es geprüft in allen seinen Einzelheiten, auf jede Fuge und jeden Schnitt, und sie mußten gestehen, das Stück sei ein Kunstwerk ersten Ranges. Das hatte Friedrich 23*
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer