1912 -
Essen Berlin
: Bachmann Baedeker
- Hrsg.: ,, Heinecke, August
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Gewerbliche Fortbildungsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Das neue bürgerliche Recht.
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aber auch damit wurde nicht dauernd Abhülfe geschaffen. Endlich
nahm man ein fremdes Recht, das römische, zum Ersätze des hei-
mischen an.
Warum das römische Recht? — Die Römer hatten es wie
kein anderes Volk verstanden, mit Hülfe von klugen Gesetzgebern
und geistvollen Rechtsgelehrten ein planmäßig durchdachtes und
besonders für die Geschäfte des bürgerlichen Verkehrs praktisches
Recht auszugestalten. Dieses Recht, welches in dem weiten Ge-
biete des römischen Weltreiches galt, hatte der Kaiser Justinian I.
(527—565) in einem bürgerlichen Rechtsbuch aufzeichnen lassen. Die
damaligen Rechtsschulen, namentlich die berühmten italienischen,
legten nun dieses Buch ihrem Unterrichte zu Grunde, und auch die
zahlreichen Deutschen, die in Italien die Rechtswissenschaft studierten,
wurden im römischen Rechte unterwiesen und suchten es dann in
der Heimat als Amtsleute, Sachwalter und Richter anzuwenden.
Allmählich wurde es auch an den deutschen Hochschulen gelehrt.
Dazu kam die im Mittelalter herrschende Anschauung, daß das
„heilige römische Reich deutscher Nation“ eine Fortsetzung des
römischen Reiches, der deutsche Kaiser also Nachfolger des römischen
sei, und so gewöhnte man sich daran, auch das Rechtsbuch Justinians,
obwohl es in lateinischer und griechischer Sprache verfaßt war, als
deutsches Reichsrecht zu betrachten, und im 15. Jahrhundert begann
das römische Recht an den deutschen Gerichten die Oberhand zu
gewinnen. Wohl machte sich noch lange das Widerstreben weiter
Volkskreise gegen die Neuerung bemerkbar; aber da Fürsten, Ge-
lehrte und Staatsmänner das römische Recht schirmten, so war
seine Aufnahme um die Mitte des 16. Jahrhunderts vollendete Tat-
sache.
Nun hatte man ein „gemeines“ (d. h. gemeinsames), aber
dennoch weder ein einheitliches noch ein gewisses Recht.
Kein einheitliches Recht; denn das besondere Recht der einzelnen
Gebiete ging dem gemeinen vor, und nach dem Spruche „Landrecht
bricht Reichsrecht“ konnte jeder Landesherr für sein Land, jede
Stadt für ihr Weichbild besondere Gesetze geben. Kein gewisses
Recht; denn die fremden Vorschriften paßten nicht immer für das
deutsche Leben; die Streitfragen über Auslegung und Anwendung
des fremdsprachigen Rechtsbuches mehrten sich deshalb, und die
Prozesse wurden oft viele Jahre lang verschleppt.
2. In Preußen wurden zur Zeit der letzten Kurfürsten und unter
den beiden ersten Königen mehrere ziemlich erfolglose Anläufe zur
Abfassung eines Gesetzbuches gemacht; erst eine im Jahre 1780
eingesetzte Kommission brachte das Werk zu stände, und im Jahre
17y4 trat das „Allgemeine Landrecht“ in Kraft. Dieses Gesetz-
buch bedeutete einen großen Fortschritt, da es durch vielfache Annähe-
rung an volkstümliche Rechtsanschauungen und durch Beobachtung
des praktischen Lebens das gemeine Recht in deutschem und
modernem Sinne weiterbildete. Indessen wurde es nicht in allen
Gebieten eingeführt, die Preußen seitdem erwarb. In den Ländern
links vom Rhein und in Baden erlangte während der Napoleonischen
Fremdherrschaft das französische „Bürgerliche Gesetzbuch“ Geltung,