1906 -
München
: Oldenbourg
- Hrsg.: Lehrerinnen-Verein München
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Mädchenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Feiertagsschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
- Geschlecht (WdK): Mädchen
113. Einst und jetzt.
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demselben Wege, alle gleichmäßig bedeckt vom Staube der Straße; doch
sind die Gegensätze unter ihnen außerordentlich groß. Millionäre, ein-
flußreiche Beanlle, stattliche Offiziere, ja Ftirsten schreiten da neben dem
einfachen Handwerker und Arbeiter daher, die feine Dome im Samtkleide
neben der Marktfrau und dem Dienstmädchen. Die verschiedensten Kreise
der Gesellschaft, die alle anderswo ihren Mittelpunkt haben, bewegen sich
auf der Straße durcheinander.
So ebbet und flutet es in einer großen Stadt den ganzen Tag
hindurch, bis er sich zu Ende neigt und die Abenddämmerung in die
Straßen fällt. „Markt und Straßen werden stiller." Die Werkstätten
fangen an sich zu leeren; ein Geräusch verstummt nach dem andern
und die Arbeiter, Gehilfen und Gesellen ziehen in die Vorstädte hinaus,
wo sie ihre engen Stübchen haben.
Wenn aber am Firmamente die Himmelslichter angezündet werden,
leuchtet auch in der Stadt allmählich ein Feuer nach dem andern auf.
Bald ist die ganze Stadt beleuchtet. Nun versammeln sich die Bürger
überall „um des Lichts gesellige Flamme", in dem stillen, traulichen
Daheim bei Weib und Kind oder in Freundeskreisen. Du aber gehst in
dein stilles Kämmerlein, fertigst deine Schularbeiten, liesest noch ein
Kapitel in irgend einem guten Buche, denkst an Vater und Mutter und
gehst dann zu Bett. Hugo Weber.
113. Kinst und zeht.
Ich bin noch nicht sehr alt, kaum fünfzig, und doch weiß ich, wie sich
in dieser Spanne Zeit der Verkehr mit lieben Bekannten und Freunden in
der Ferne so gänzlich umgestaltet hat. Wie war es vor 50 Jahren, wie ist
es jetzt? Meine Heimat ist ein Städtchen, ungefähr zwei Tagreisen von
Bayerns Hauptstadt entfernt; eine gute Poststraße, die zwei der bedeutendsten
Handelsplätze Süddeutschlands verbindet, führt hindurch. Mein Vater war
ein angesehener Mann, der mit vielen Leuten in geschäftlicher Verbindung
stand und öfters größere Reisen machte. Er schrieb viele Briefe und empfing
auch solche in ganzen Paketen; denn er hatte Geschäftsfreunde in allen süd-
deutschen Städten, in der Schweiz, in Frankreich, selbst in Amerika.
Schon das Schreiben war zu jener Zeit noch ein Geschäft, das besonderer
Vorbereitungen bedurfte. Das Papier bezog man in ganzen großen Bögen,
die für jeden Brief besonders zugeschnitten wurden, bald größer bald kleiner;
die Tinte machte sich mein Vater auch selbst und hatte hierzu in einer eigenen
Schublade kleine Paketchen Tintenpulver in Vorrat. Von den schönen weißen
Gänsekielen zum Schreiben stak immer ein ganzer Bund hinter dem Spiegel.
Das Federschneiden war eine Kunst, die im ganzen Hause nur mein Vater
verstand und deretwegen er von den Leuten der Nachbarschaft oft in Anspruch